Fridays for Future

„System Change not Climate Change“

1500 SchülerInnen und StudentInnen streiken in Augsburg

7.2.2019


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Am Freitag, 18. Januar, demonstrierten in Augsburg etwa 1500 SchülerInnen und StudentInnen „um zu zeigen, dass ihnen ihre Zukunft wichtig ist und, dass wir nicht tatenlos dabei zusehen wollen, wie unsere Erde wegen Politikern zugrunde geht, die die schlimmsten Auswirkungen des Klimawandels nicht mehr mitbekommen werden.“ So einer der acht Rednerinnen auf dem Rathausplatz. Die Augsburger Demo war eine der größten von bundesweit 60 Demos an diesem Tag.

Wir dokumentieren im Folgenden das Redemanuskript, das uns von einem Schüler zur Veröffentlichung geschickt wurde. Zuvor bringen wir einen kurzen Bericht über die Demo, den uns ein Beobachter schickte zusammen mit eindrucksvollen Fotos, die wir hier veröffentlichen. Anschließend folgt eine erfreuliche Pressemitteilung der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), Kreisverband Augsburg, zu den Protesten der SchülerInnen. Dann folgt eine kurze Geschichte der Bewegung Fridays for Future sowie einige Anmerkungen für eine knappe Analyse des überregionalen, ja weltweiten Charakters der SchülerInnenbewegung. Sie machte in Berlin Druck auf die Tagung der Kohlekommission, ja wirkte sogar auf den Weltwirtschaftsgipfel in Davos ein und verbündet sich zum Beispiel in Belgien mit einer starken Umweltbewegung, die eher rot als grün ist. Es wird sich zeigen, ob eine neue Jugendbewegung aufkommt, die sich mit den Reichen, wo nötig auch mit den Eltern und Lehrern anlegt, und das Streikverbot für SchülerInnen zum Beispiel in Bayern locker durchbricht, wenn sie es für ihr politisches Ziel für angemessen hält.

Kurzbericht an die Redaktion

In circa acht Redebeiträgen haben die RednerInnen gut erkennen lassen, dass auch eine schnell zusammengestellte Protestformation unter den neuen Bedingungen der Sozialen Medien durchaus nicht inhaltslos sein muss. Dazu hatten sie mit recherchiertem Zahlenmaterial auch plakative Beispiele parat.

Eine Rednerin rechnete vor, wie viele fußballfeldgroße Flächen Regenwaldes in ihrer wenigen Minuten dauernden Redezeit gerodet worden waren. Eine andere hatte sich ausgerechnet, ab wann ihr virtuelles Kind im Meer eher neben einer Plastiktüte als einem Fisch schwimmen würde, wenn alles so weiter geht.

Neben Forderungen an die Politik beeindruckten diese jungen Menschen aber auch durch Eigenreflexion und Eigenappellen zu durchdachterem und nachhaltigem Lebensstil.

Die Themen reichten von den Emissionen durch Industrie, Individual- oder Flugverkehr über Massentierhaltung und Meeresverschmutzung bis hin zum eigenen Konsumverhalten. Auch die Nicht-Vorbild-Funktion der Schulen selbst war ein Thema. Neben deren didaktischen Mängeln zum Thema Klimaschutz und „Verantwortungslehre“ wurde deren Eigenverhalten zum Energie- und Papierverbrauch angeprangert.



Redemanuskript FFF 18.1.2019

Erstmal Hallo an euch alle, an alle Schülerinnen und Schüler, an alle Studentinnen und Studenten, die heute hierhergekommen sind, um zu zeigen, dass ihnen ihre Zukunft wichtig ist und, dass wir nicht tatenlos dabei zusehen wollen, wie unsere Erde wegen Politikern zugrunde geht, die die schlimmsten Auswirkungen des Klimawandels nicht mehr mitbekommen werden.

Ich finde es großartig, wie viele von euch heute mehr oder weniger harte Konsequenzen in Kauf nehmen, um hier dabei zu sein und gemeinsam zu zeigen, dass es uns reicht.

Ich weiß auch, dass viele wegen genau diesen Konsequenzen jetzt nicht hier sind. Maria Heinrich, eine Journalistin von der AZ, hat dieses Verhalten gestern in ihrem Kommentar zum Schulstreik perfekt beschrieben:

„In 30 Jahren werdet ihr euch erinnern an Plakate und Parolen, an das Gemeinschaftsgefühl, als ihr durch die Straßen gezogen seid. Nicht an die Strafarbeit oder den Verweis, den es fürs Schwänzen gab.“



Aber, so schön es auch ist, wie viele Jugendliche jetzt hier versammelt sind … Der Kampf gegen den Klimawandel ist mehr, als einmal an einem Freitag ein paar Stunden Schule zu opfern. Wenn man wirklich etwas bewirken möchte, muss man über mehr nachdenken, als, ob es sich lohnt, für eine Demonstration einen Verweis zu riskieren.

Man muss darüber nachdenken, ob man weiterhin Billigfleisch essen will, das aus Ländern kommt, die tausende Kilometer weit weg sind. Man muss darüber nachdenken, ob man überhaupt noch Fleisch essen will. Man muss darüber nachdenken, ob der SUV der Eltern eine geile Karre oder eher ein fetter Luftverpester ist. Und weil man wahrscheinlich beidem zustimmt, muss man entscheiden, was einem wichtiger ist.

Und man muss darüber nachdenken, ob man wirklich mehrmals im Jahr in den Urlaub fliegen muss, oder ob man auch mit weniger glücklich und zufrieden sein kann.

Am Ende sind wir alle in irgendeinem Bereich Klimasünder. Manche mehr und manche weniger.

Aber es ist ein großer und wichtiger Schritt, das bei sich selbst zu erkennen, denn dann kann man sich langsam verbessern und wird am Ende sehen, dass Dinge, die man für essentiell gehalten hat, plötzlich nicht mehr wichtig sind.

Und ich weiß, dass viele von euch den Kampf gegen den Klimawandel schon für verloren halten. Aber am Ende wird jeder von uns seinen Kindern und Enkeln sagen wollen, das wir unser sein Bestes gegeben haben.

Deswegen lasst uns zusammen dafür sorgen, dass Fridays for Future und der Kampf gegen den Klimawandel nicht nach dieser Demonstration zu Ende ist, sondern, dass er jetzt erst richtig anfängt!

Dankeschön!

 

Stellungnahme der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), KV Augsburg

25.1.2019

Pressemitteilung zu den Protesten der SchülerInnen unter dem Motto
„Fridays for Future“ (1)

Die GEW Augsburg begrüßt die Proteste der Schülerinnen und Schüler sowie der Studentinnen und Studenten gegen die unzureichende Klimapolitik. 

Diese Proteste bieten die Chance, das wichtige Thema Klimaschutz wieder einmal auf die politische Agenda und in das gesellschaftliche Bewußtsein der Menschen zu rücken.

Leider lässt sich der Klimawandel nicht alleine durch einen Bewußtseinswandel Einzelner bremsen oder aufhalten. Vielmehr muss die Politik die Zügel in die Hand nehmen und Konzerne durch strenge Vorgaben reglementieren. Da sie dazu offensichtlich nicht willens ist, braucht es den starken Druck der Bevölkerung, der sie dazu zwingt. Die Schülerproteste können einen wichtigen Teil dazu beitragen, den Verantwortlichen zu zeigen: Wir sind das Volk und wir fordern einen wirksamen Klimaschutz und nicht den Schutz von Konzerninteressen.

Seit bald 40 Jahren feiert der ungezügelte Kapitalismus auf politischer Ebene in Gestalt des Neoliberalismus wilde Auswüchse. Seine kurzsichtige Wachstums- und Konsumideologie hat sich weltweit durchgesetzt, mit verheerenden Folgen für das Klima und die Natur. 



Insofern gilt: Wer vom Klimawandel sprechen will, darf vom Kapitalismus nicht schweigen!

Soll der Klimawandel gebremst oder gestoppt werden, ist von der gegenwärtigen neoliberalen Elite wenig zu erwarten. Das kann man an der Entwicklung des Kampfes gegen den Klimawandel seit Rio 1992 sehen. Freiwillige Selbstverpflichtungen führen zu nichts. Sie werden geflissentlich umgangen, weil sie Geld kosten oder auf Kosten des Wachstums gehen.

In diesem Sinne wünschen wir den Schülerinnen und Schülern in Augsburg und anderswo viel Erfolg mit ihrer Agenda!

GEW KV Augsburg, Dr. Tobias Bevc, Vorsitzender

Eine kurze Geschichte der Bewegung

„Am 26. November 2018 organisierte die Bundjugend den ersten größeren Streik in Deutschland. Damals demonstrierten rund 200 Schüler vor dem Ministerium für Wirtschaft und Energie in Berlin für einen schnellen Kohleausstieg und echten Klimaschutz“ – schreibt die Stadtzeitung (2). Die SchülerInnenbewegung Fridays for Future in Deutschland formierte sich dann wohl am 14. Dezember mit Schulstreiks in Berlin, Hamburg, Köln, Kiel, Karlsruhe, Landau und Aachen.

Der Auftakt in Augsburg und wahrscheinlich auch in Bayern war der 18. Januar. In etwa 60 Städten demonstrierten an diesem Tag bundesweit über 30.000 SchülerInnen am Vormittag, also während der Schulzeit: „Wir wollen die PolitikerInnen wachrütteln, von Aachen bis nach Zweibrücken.“ (3) Tatsächlich waren es wahrscheinlich mehr Orte und mehr SchülerInnen, als den Organisatoren bekannt sind. So berichtete die Augsburger Allgemeine (4) zum Beispiel auch über Kempten: „In Kempten demonstrierten weit mehr als 400 Jugendliche vor zwei Schulen.“ Die größte Demonstration mit 5000 Teilnehmern gab es in Freiburg, danach folgten Hamburg, Hannover, Saarbrücken und Augsburg mit den größten Demonstrationen bundesweit.

Am 25. Januar war in Berlin eine Zentraldemonstration vor dem Bundeswirtschaftsministerium angesetzt anlässlich der erwarteten Ergebnisse der Kohlekommission. Parallel dazu gab es in München eine zentrale Demonstration für Bayern, an der sich einige tausend SchülerInnen beteiligten, darunter zum Beispiel auch 110 SchülerInnen aus Memmingen und dem Unterallgäu, die mit dem Zug nach München fuhren, oder auch 50 SchülerInnen aus Prien und Umgebung …



Die zentrale deutsche Webseite Fridays vor Future – Gemeinsam gegen den Klimawandel berichtet über den Berliner Zentralstreik (5):

„Die Demo war ein riesen Erfolg – das Ergebnis aber nicht akzeptabel! Während im Bundeswirtschaftsministerium die Kohlekommission über den Ausstieg aus der Kohleenergie entschied, demonstrierten mehr als 10.000 Schüler, Studenten, Azubis und weitere Unterstützer und zogen bei eisiger Kälte vom Ministerium zum Bundeskanzleramt. Die erwartete Teilnehmerzahl wurde um das Zehnfache übertroffen! Während unseres Marsches winkten uns immer wieder viele Zuschauer aus den Fenstern und Gebäudeverbindungsbrücken zu. (…)

Ein Teilerfolg: Die Kohlekommision beschloss zwar den Ausstieg aus der schmutzigen Energiegewinnung, tat dies jedoch zu halbherzig. Kohleausstieg 2038: Zu langsam, zu zögerlich und schlichtweg zu spät.Wir können und werden diese Entscheidung nicht akzeptieren. Schließlich ist es unsere und die Generation unserer Kinder, die die Folgen dieser Entscheidung (er-)tragen muss. Daher sind wir zutiefst enttäuscht über das Ergebnis, denn das 1,5°-Ziel kann so nicht eingehalten werden. Deshalb werden wir weiterstreiken; wenn es sein muss noch an 991 Freitagen bis dahin!“

Zum 1. Februar berichtet die zentrale Facebookseite der deutschen Kampagne (6):

„Erneut waren heute in circa 30 Städten zahlreiche mutige Schüler*Innen und Studierende in ganz Deutschland auf den Straßen, um für eine konsequentere Klimapolitik zu demonstrieren und zu streiken!

Wir werden weiterhin jeden Freitag laut und vielfältig demonstrieren bis uns eine lebenswerte Zukunft zugesichert werden kann.

Denn Fehlstunden verkraften wir, aber den Klimawandel nicht!“

Die nächste Aktion in Augsburg soll an einem Freitag im März erfolgen.

Auch in Europa tut sich was, hier nur zwei Beispiele aus Belgien und der Schweiz.

Am Sonntag, 27. Januar, Demonstrierten in Brüssel nach Angaben der Polizei 70.000 Demonstranten für eine bessere Umweltpolitik – mehr als je zuvor. Die junge Welt berichtet (7):

„Die internationale Organisation ‚Rise for Climate‘ hatte als Veranstalterin vorab mit nur 30.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer gerechnet.

‚Wow. Ein neuer Wind weht von unten, die Klimarevolution hat begonnen‘, twitterte der Vorsitzende der marxistischen PTB-PVDA, Peter Mertens, am Sonntag enthusiastisch. Zahlreiche Mitglieder hatten unter dem Parteimotto ‚Rot ist das neue Grün‘ am sogenannten Klimamarsch teilgenommen. ‚Wenn sich die Regierung und die Großindustrie nicht bewegen, dann werden wir sie bewegen. Zuerst die Menschen und der Planet, nicht der Gewinn‘, so Mertens kämpferisch. ‚Lasst die größten Verschmutzer die Rechnung bezahlen anstatt die arbeitende Klasse.‘ (…)

Großeltern liefen neben ihren Enkeln, Mütter und Väter nahmen ihre Kinder bei der Hand. Marxisten, Gewerkschafter, Sozialdemokraten, die Grünen – alle machten mit. Besonders auffällig sei aber die große Anzahl von Jugendlichen gewesen, meldete die Nachrichtenagentur Belga. Viele von ihnen waren am Freitag schon dem Schulunterricht ferngeblieben, um sich der Bewegung ‚Fridays for Future‘ der 16 Jahre alten Greta Thunberg anzuschließen.“

Am Samstag, 2. Februar, demonstrierten 60.000 Menschen in der ganzen Schweiz bei einem Klimastreik.

Am 25. Januar machte sich das Anlegerportal nachhaltig investieren Gedanken: „Schulstreiks ‚Fridays for Future‘: Bleibende Bewegung oder Strohfeuer?“ (8).

„Heute gibt es freitags weltweit Schulstreiks – aufgrund eines Medienphänomenens und der immensen Beharrlichkeit einer 15-jährigen Klimaschützerin: Greta Thunberg. Die schwedische Schülerin begann im Dürresommer 2018 ihren ‚Skolstrejk för klimatet‘ (‚Schulstreik für das Klima‘) vor dem Schwedischen Reichstag in Stockholm.

Viele Schülerinnen und Schüler folgten ihr unter dem Hashtag #FridaysForFuture – zunächst in Schweden, dann auch in Australien, Uganda, und verschiedenen, europäischen Ländern, inklusive Deutschland. Sie fordern eine drastische Reduktion der Klimagase und ein Ende des ‚Politikversagens‘, wie sie es ausdrücken.

Dekarbonisierung: Skandinavien als Pionier

Tatsächlich lässt die Dekarbonisierung in den meisten Staaten zu wünschen übrig – auch wenn die skandinavischen Länder noch positiv herausstechen: In Norwegen soll bis 2025 kein Neuwagen mehr fossile Brennstoffe verbrennen – dort fährt bereits heute die Hälfte der Autos elektrisch. In Dänemark und Schweden sollen ab 2030 keine Verbrenner mehr zugelassen werden. Doch den Schülern geht das zu langsam.

Auch in Sachen nachhaltiges Investment und Divestment [Ausstieg aus Geldanlagen in fossile Energie], gelten die Skandinavier – insbesondere der Auslands-Pensionsfonds der Norwegischen Zentralbank – als Vorreiter. (…)

Das Brechen der Schulpflicht ist gleichzeitig ein wichtiges Element, um Aufmerksamkeit zu erregen. Wie spannend ist schließlich schon ein Streik, bei dem nichts bestreikt wird? Und die Taktik funktioniert. Als Australiens Minister für Ressourcen, Matt Canavan, den Schülern empfahl, lieber in die Schule zu gehen als herauszufinden, wie man von der Sozialhilfe leben kann, erntete er einen Shitstorm.


Die Klimastreiks sind klein, aber erfolgreich. Warum?

Normalerweise schaffen es Demonstrationen von ein paar Tausend Menschen nur in überregionale Medien, wenn es schwere Ausschreitungen gibt oder die Forderungen der Demonstranten schon lange medial diskutiert werden. Nicht so bei den Klimastreiks der Schüler.

Erklären lässt sich die Öffentlichkeitswirksamkeit der Bewegung durch die effektive Kombination von Offline-Aktionen und Online-Methoden. Greta Thunberg wurde schnell bekannt – nicht nur durch Medienberichte, sondern spätestens seit ihrer Rede auf der letzten Klimakonferenz in Polen durch die Soziale-Medien. Hier zeigte sich wieder einmal, dass in den Sozialen Medien ‚virale Inhalte‘ stark von charismatischen Persönlichkeiten profitieren. Dieser neue Personenkult lässt sich durchaus kritisieren – immerhin ‚traf‘ es mit Greta Thunberg jedoch eine integre, beinahe unübliche Heldin.

Ist ‚Fridays for Future‘ ein Online-Hype?

‚Fridays for Future‘ ist daher eine stark online-vernetzte Offline-Bewegung mit einem gewissen Momentum. Dass nun durchgängig freitags Klimastreiks zu erwarten sind, bis Kohleausstieg, Verbrennungsmotor-Aus und Co. durchgesetzt sind, ist unwahrscheinlich. Die Schülerdemos sind dennoch wichtig: Die Kids werden dort weiter politisiert und vernetzen sich. Möglich, dass ihre Chatgruppen irgendwann etwas ruhiger, aber zu umweltpolitischen Anlässen wieder lebendig werden. In Deutschland hat die #FridaysForFuture-Bewegung einen klaren Anti-Kohle-Bezug. Ob die Demonstrationen an Fahrt verlieren, ist auch davon abhängig, ob der Kohleausstieg zügig realisiert wird. (…)“

Soweit die Einschätzung von nachhaltig investieren, die einen Eindruck vermittelt von der Breite der Bewegung.

Politische Anmerkungen

Tatsächlich aber scheint Greta Thunberg unserem Eindruck nach das Gegenteil einer charismatischen Persönlichkeit zu sein und es handelt sich sicher auch nicht um einen Personenkult, von dem „virale Inhalte“ Sozialer Medien stark profitieren. Viraler Content bezeichnet Inhalte, die sich innerhalb kurzer Zeit im Internet rasant verbreiten und eine sehr hohe Aufmerksamkeit erzielen. Häufig handelt es sich dabei um Videos. Doch auch Texte, Bilder oder Infografiken haben das Potenzial, viral zu werden – soweit die Definition von textbroker (9). Unseres Erachtens handelt es sich aber nicht um einen viralen Hype, der Marketingsinteressen dient, sondern um eine Anregung aus Schweden, die deshalb so einschlägt, weil die Haltung allerorten da ist, dass junge Menschen sagen: „Es reicht! Wir wollen die Klimaziele noch erleben!“

Gegenüber Augsburg TV schilderte ein Schüler aus dem Holbeingymnasium lapidar und schlicht, wie es ihnen gelang, so schnell 1500 Jugendliche zu mobilisieren (10): „Dann haben wir halt entdeckt, dass es die Bewegung gibt, und dann haben wir das halt über WhatsApp-Gruppen in Augsburg gegründet. Und dann ging alles relativ schnell. Dann haben Mitschüler Freunde von anderen Schulen kontaktiert und am Ende waren wir dann über 20 Schulen in der Gruppe.“

Die Fridays For Future Deutschland?-Bewegung schaltet sich jetzt massiv in die Politik ein. In einem offenen Brief vom 23. Januar hat sie sich an die Kommission für Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung (oft nur Kohlekommission genannt) gewandt (11):

„Wir und Sie wissen, dass die einzige zukunftsorientierte Entscheidung ein schnellstmöglicher, konsequenter Kohleausstieg ist. (…)

Der Sonderbericht des Weltklimarates zeigt, dass lediglich elf Jahre bleiben, um die verheerendsten Folgen der Erderwärmung abzuwenden. Dafür ist ein Kohleausstieg ab 2020 unverzichtbar. Sowohl das Fraunhofer-Institut für Energiewirtschaft und Energiesystemtechnik als auch das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung haben in unabhängigen Studien im vergangenen Jahr bekräftigt, dass durch eine schnelle Abkehr von der Braunkohle die deutschen Klimaziele der Jahre 2020 und 2030 noch einzuhalten wären. (…)

Die bisherige politische Untätigkeit zwingt uns nun, etwa durch Kampagnen, Schulstreiks und Aufrufe wie diese auf die derzeitige Lage aufmerksam zu machen. Wir jungen Menschen wissen, dass wir längst keine Zeit mehr für politisches Hinhalten haben und dass jetzt die letzte Möglichkeit ist, den vollständigen Klimakollaps und den damit einhergehenden fortschreitenden Artenverlust noch zu verhindern.

Es wird in Deutschland voraussichtlich keine vergleichbare Chance mehr geben, einen so weitreichenden Beitrag zum Klimaschutz zu leisten. Lassen Sie deshalb diese historisch einmalige Möglichkeit nicht verstreichen. (…)“

So wie es aussieht, ist diese historische Chance am 1. Februar vertan worden, auch weil namhafte Umweltverbände in der Kommission beigedreht sind, obwohl sie zunächst mit zehn Stimmen eine Sperrminorität gehabt hätten (12). Es ist kaum anzunehmen, dass die Bewegung Fridays vor Future in Deutschland jetzt aufgibt, im Gegenteil. Der offene Brief ist von 54 Orts- und Regionalgruppen unterzeichnet, signalisiert also eine starke, organisierte Gegenbewegung.

Wahrscheinlich ist es auch so, dass die GEW mit ihrer Mahnung, die Konzerninteressen nicht aus den Augen zu verlieren, bei den Schülern und Studenten offene Türen ein rennt. Die GEW Augsburg empfiehlt „Wer vom Klimawandel sprechen will, darf vom Kapitalismus nicht schweigen“. Die Fronttransparente bei der Demo am 18. Februar in Augsburg trugen die Parolen: „System Change not Climate Change“ „Burn Borders not Coal“. Auf Tafeln wurden Parolen getragen wie „One Solution – Revolution“ oder „Ihr habt Angst vor Überfremdung – Wir haben Angst vor Überflutung“. Unübersehbar kommen also Forderungen auf nach Systemänderung und Antirassismus.

Woanders hieß es zum Beispiel auch „Bei den Bonzen sind sie fix!! Für die Umwelt tun sie nix“.



Auf dem Bayern Plakat, dass wir am Anfang des Artikels abbilden, lautet ein Transparent: „Why should we go to school if you wont listen to the edicated?“ Dies ist symptomatisch für die nicht zu überhörende Kritik, die auch am Lehrpersonal geübt wird. Hier sei erwähnt, dass der Lehrstuhl für Schulpädagogik der Universität Augsburg unter der Parole „Umweltbildung beginnt in der Lehrerbildung!“ in der Lehrerbildung eine bayerische Vorreiterrolle übernimmt. (13) So ist der Augsburger Professor Klaus Zierer der Auffassung, dass die Schule einen Beitrag leisten muss, damit Umweltbildung und Nachhaltigkeit als gesamtgesellschaftliche Herausforderung gemeistert werden können. Damit Schule diesen Bildung- und Erziehungsauftrag gerecht werden kann, komme es nach seiner Auffassung primär auf entsprechend qualifizierte Lehrerinnen und Lehrer an. (14) Der Auffassung sind offensichtlich auch die SchülerInnen von Fridays for Future.

Die SchülerInnen von Fridays for Future kritisieren aber nicht nur die repressive Schulbürokratie mit ihrer Verweis-Androhung und ein oftmals zurückgebliebenes Lehrpersonal, sondern auch den Lebensstil ihrer Eltern, die ja oft der Mittelschicht angehören. Das drückt sich zum Beispiel in der von uns zitierten SchülerInnenrede darin aus, dass der SUV der Eltern kritisch angesprochen wird. Der SUV der Mittelschicht, der selbst wieder differenziert ist in eine untere, mittlere und obere Preisklasse, wäre eine eigene Studie wert – als Mittel der Distinktion aber auch der Aggression und der Beherrschung von öffentlichen Raum mit militärischen Fähigkeiten wie Allradantrieb, rasantem Vorstoß mit 400 PS … und natürlich der Demonstration eiskalter Rücksichtslosigkeit gegenüber der Umwelt im Allgemeinen und anderen Verkehrsteilnehmern im Besonderen.

Der Bayerische Rundfunk vermeldete am 2. Februar (15): „Ungeachtet aller Klimadiskussionen kaufen die Deutschen weiterhin immer stärkere Autos. Zahlen der Universität Duisburg-Essen zeigen, dass Neuwagen im vergangenen Jahr durchschnittlich 153 PS hatten. (…) Automobilexperte Dudenhöffer zufolge gleicht der Trend zu mehr Stadt-Geländewagen den abnehmenden Marktanteil für Dieselfahrzeuge aus. Seiner Einschätzung zufolge hätte auch ein Tempolimit keinen Einfluss auf die PS-Wünsche der Käufer. Das zeige ein Blick in die Schweiz: Dort gebe es scharfe Geschwindigkeits-Limits, trotzdem sei der durchschnittliche Neuwagen mit 170 PS ausgestattet.“

Diese unerhörte Statistik – es handelt sich um einen Durchschnitt! – demonstriert den Wahnsinn einer rücksichtslosen Klasse, die sich ganz gezielt seit zehn Jahren Bundesverkehrsminister aus der CSU leistet und jeden Schritt in Richtung Umweltschutz rabiat bekämpft, soweit ihre „Freiheit“ und die der deutschen Automobilkonzerne eingeschränkt würde. Auch im Hinblick darauf ist die Revolte der SchülerInnen spannend.

Peter Feininger, 7. Februar 2019

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1 „Fridays for Future“. Kreisverband der GEW Augsburg (blog), 25. Januar 2019.
https://gew-augsburg.de/category/kommunales/.

2 Laura Türk. „Klimastreik während der Unterrichtszeit: Wie Augsburger Schulen reagieren“. stadtzeitung.de, 16. Januar 2019. https://www.stadtzeitung.de/augsburg-city/politik/klimastreik-waehrend-der-unterrichtszeit-wie-augsburger-schulen-reagieren-d75359.html.

3 „Freitag 18.01.“ Fridays for Future (blog), 19. Dezember 2018. https://fridaysforfuture.de/index.php/18januar/.

4 Augsburger Allgemeine, 19.1.2019

5 Noah Adler. „Zentralstreik am Freitag, dem 25.01.2019 in Berlin anlässlich der entscheidenden Tagung der Kohlekommission“. Fridays for Future (blog), 22. Dezember 2018. https://fridaysforfuture.de/index.php/25januar/.

6 „Fridays for Future Deutschland - Startseite“. Facebook Fridays for future Deutschland. Zugegriffen 23. Januar 2019. https://www.facebook.com/fridaysforfuture.de/.

7 Gerrit Hoekman. „Panik machen. Breiter Protest gegen Klimapolitik in Belgien. Jugendliche mit Schülerstreikbewegung Vorbild – Marxisten, Gewerkschafter und Sozialdemokraten beteiligen sich“. junge Welt, 29. Januar 2019. https://www.jungewelt.de/artikel/348082.klimaproteste-panik-machen.html.

8 Marius Hasenheit. „Schulstreiks ‚Fridays for Future‘: Bleibende Bewegung oder Strohfeuer?“ nachhaltig investieren, 25. Januar 2019. https://www.nachhaltig-investieren.com/news-nachhaltig/item/fridays-for-future.

9 „Viraler Content | Content Marketing Glossar“. textbroker.de (blog). Zugegriffen 4. Februar 2019. https://www.textbroker.de/viraler-content.

10 Schüler streiken für nachhaltigen Klimaschutz. a.tv, 2019.
https://www.augsburg.tv/mediathek/video/schueler-streiken-fuer-nachhaltigen-klimaschutz/
.

11 „Jugend fordert schnellstmöglichen Kohleausstieg und echte Zukunftspolitik. Offener Brief der Fridays For Future Deutschland? Bewegung“. Fridays vor Future, 23. Januar 2019. https://schulstreik.files.wordpress.com/2019/01/offener-brief-vertraulich.pdf.

12 Siehe z. B. die taz: Kreutzfeldt, Malte. „Abschlussbericht der Kohlekommission: Zerreißprobe für Klimaschützer“. Die Tageszeitung: taz, 27. Januar 2019, Abschn. Öko. https://www.taz.de/!5568305/.

13 „Umweltbildung beginnt in der Lehrerbildung! Der Lehrstuhl für Schulpädagogik der Universität Augsburg übernimmt in Sachen Umweltbildung und Nachhaltigkeit in der Lehrerbildung bayerische Vorreiterrolle“. Pressestelle der Universität Augsburg, 29. Januar 2019.
https://www.presse.uni-augsburg.de/de/unipressedienst/2019/jan-maerz/2019_018/
.

14 Klaus P. Prem. „Interview mit Prof. Dr. Klaus Zierer (Lehrstuhl für Schulpädagogik der Universität Augsburg) zum neuen Zertifikat ‚Umweltbildung und Nachhaltigkeit‘ für Lehramtsstudentinnen und -studenten“. Pressestelle der Universität Augsburg, 10. Januar 2019. http://idw-online.de/de/attachmentdata70837.pdf.

15 Quelle: B2/KL/Dig 02.02.2019 07:00

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 


   
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