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Tariftreue, Teil 2„Jetzt dem Tiger ins Auge blicken!“ – Baustreik 2002 und Kampf um ein BundestariftreuegesetzZentrale Bestimmungen des Gesetzentwurfes: Das Baustellenprinzip und das Register über unzuverlässige Unternehmen
Unionsgeführte Bundesländer sind zunächst die treibende Kraft für ein BundesgesetzUnter dem Eindruck von gewerkschaftlichen Demonstrationen für ein Tariftreuegesetz beriet der Bundesrat am 31. Mai 2002 das Gesetz zur tariflichen Entlohnung bei öffentlichen Aufträgen und zur Einrichtung eines Registers über unzuverlässige Unternehmen[1]. Unmittelbar vor der Sitzung des Bundesrats erklärte MdB Ulla Lötzer für die PDS[2]: Soziale Standards und Tarifverträge brauchen Schutz durch politische Gestaltung. Deshalb habe ich mich gemeinsam mit der PDS-Fraktion für ein Tariftreuegesetz ohne Wenn und Aber eingesetzt, und deshalb haben wir die Aktionen und Arbeitsniederlegungen der Beschäftigten im öffentlichen Nahverkehr am vergangenen Montag unterstützt. Die Gewerkschaft ver.di und IG Bau haben lange mit Unterstützung der PDS-Bundestagsfraktion Druck auf eine zögerliche Bundesregierung ausüben müssen, um kurz vor Toresschluss ein auf Druck des wirtschaftsliberalen Flügels von Bündnis 90/Die Grünen verwässertes Tariftreuegesetz zu bekommen. Die Verpflichtung öffentlicher Arbeitgeber auf die Einhaltung des repräsentativen Tarifvertrages am Ort der Leistungserbringung und die Einbeziehung von Subunternehmen ist zumindest ein Schritt in die richtige Richtung.
Bereits im Vorjahr, im Juni 2001, hat der Bundesrat den Entwurf eines bundeseinheitlichen Tariftreuegesetzes beschlossen. Die Bundesregierung hat auf der Grundlage dieses Beschlusses einen eigenen Gesetzentwurf vorgelegt, dem der Bundesrat im ersten Durchgang Anfang des Jahres 2002 zugestimmt hat. In den kommenden Monaten jedoch bauten die unionsgeführten Länder zunehmenden Widerstand gegen ein Gesetz zur tariflichen Entlohnung bei öffentlichen Aufträgen und zur Einrichtung eines Registers über unzuverlässige Unternehmen auf, das dem Bundesrat vonseiten des Bundestags im Mai 2002 erneut vorlag. Werner Müller, parteiloser Bundesminister für Wirtschaft und Technologie im Kabinett Schröder I, erklärte in der Debatte im Bundesrat am 31. Mai 2002[3] :
Das Saarland, Berlin und Bayern hatten zu diesem Zeitpunkt bereits Landesgesetze, die Tariftreue vorschrieben. Es versteht sich, dass diese Länder auf eine bundeseinheitliche Regelung drängten. Auch Rot-Grün in der Bundesregierung und NRW drängten in diese Richtung. Im Hintergrund des politischen Tauziehens um das Bundestariftreuegesetz spielte sich nicht nur die wohl schwerste Krise der deutschen Bauwirtschaft ab, sondern seit Februar 2002 auch eine scharfe Tarifauseinandersetzung der IG Bau, die im Juni zu einem wuchtigen Flächenstreik der Bauarbeiter führte, dem ersten Streik der Gewerkschaft seit 1949. Das Ergebnis der Urabstimmung in Bayern: 99,12%. Seit rund 15 Jahren drückten vor allem die Konzerne der Bauindustrie die Löhne und zerschlugen durch den Einsatz von tarifuntreuen Subunternehmen und von Hunderttausenden ausländischer Bauarbeiter auf Basis von Kontingentverträgen systematisch die Arbeitsbedingungen am Bau. Das Ziel der zwei Bauunternehmerverbände mit diesem Vorgehen war offenbar nicht nur die Kündigung aller Rahmentarifverträge, sondern auch die Zerschlagung der Gewerkschaft und damit eine Branche überhaupt ohne Tariflohn und eine künftige Aushandlung auf unterster Ebene. Auf diese Herausforderung wurde für die IG BAU der Streik zur Überlebensfrage.[4]
Zentrale Bestimmungen des Gesetzentwurfes: Das Baustellenprinzip und das Register über unzuverlässige UnternehmenEiner der Wortführer war MdB Klaus Wiesehügel (SPD), der gleichzeitig der Vorsitzende der Baugewerkschaft war. In der dritten Beratung des Gesetzes im Bundestag am 26. April 2002, bei der das Gesetz mit den Stimmen von SPD und Grünen gegen die Stimmen von CDU/CSU und FDP bei Enthaltung der PDS angenommen wurde, um dann dem Bundesrat erneut zugeleitet zu werden, sagte Klaus Wiesehügel[5] :
Die Vorteile eines Bundestariftreuegesetzes gegenüber den Landesgesetzen: die Gültigkeit des repräsentativen Tarifs …Wichtig in dem Gesetz zur tariflichen Entlohnung bei öffentlichen Aufträgen und zur Einrichtung eines Registers über unzuverlässige Unternehmen ist also das sogenannte Baustellenprinzip und, wie der Name des Gesetzentwurfs schon sagt, die Einrichtung eines zentralen Registers für Unternehmen, die gegen das Gesetz verstoßen. Das Baustellenprinzip besagt, dass die Tarife vor Ort gelten und nicht die Tarife, die am Sitz des auftragnehmenden Unternehmens gelten. Und zwar soll nicht irgendein örtlicher oder regionaler Tarif gelten, sondern ein repräsentativer Tarif. Das würde sich zum Beispiel gegen spalterische Tarife christlicher Gewerkschaften richten und würde auf staatliche und kommunale Unterstützung und Bevorzugung der Tarife des DGB hinauslaufen. Ministerpräsident Wolfgang Clement von Nordrhein-Westfalen, der übrigens behauptete, das vorliegende Gesetz gehe auf einen Antrag des Landes Nordrhein-Westfalen zurück, erläuterte das Baustellenprinzip im Bundesrat so:
… und das zentrale AntikorruptionsregisterDurch die Änderung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen sollte gewährleistet werden, dass Auftraggeber davon erfahren, wenn Unternehmen wegen schwerer Verfehlungen wie illegaler Beschäftigung, Schwarzarbeit oder Verstößen gegen die Tariftreueregelung von der Vergabe öffentlicher Aufträge ausgeschlossen wurden. Als Informationsgrundlage sollte beim Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle ein zentrales Register (Antikorruptionsregister) eingerichtet werden. Für Nachunternehmer sollte das Gesetz generell und unmittelbar gelten, das heißt auch in Bezug auf die nach dem Gesetz eingeräumten Sanktionsmöglichkeiten (Ausschluss von öffentlichen Aufträgen, Aufnahme in das Antikorruptionsregister etc.). Die Einhaltung der Tariftreue sollte durch die Zollverwaltung kontrolliert werden.[7] In Diskussion stand, dass Öffentliche Auftraggeber gesetzlich verpflichtet werden sollten, Personen und Unternehmen an das Register zu melden, sobald schwere Verfehlungen bekannt werden. Diskutiert wurde, die registerführende Stelle beim Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle einzurichten. Zugriffsberechtigt könnten dann nicht nur Staatsanwälte und Landeskriminalämter sein. Auch den ausschreibenden Kommunen und anderen öffentlichen Auftraggebern würde der Zugriff erteilt werden.[8] Die Koalitionsfraktionen haben kurzfristig einen Entwurf eines eigenen Gesetzes zur Einrichtung eines Registers über unzuverlässige Unternehmen eingebracht, da angesichts der nach wie vor unveränderten Auffassung von CDU/CSU-regierten Ländern nicht mit einer Zustimmung des Bundesrates zum Tariftreuegesetz zu rechnen war. Das Gesetz des Bundestags zur Einrichtung eines Registers über unzuverlässige Unternehmen („Korruptionsregister“) wurde im Bundesrat mit den Stimmen der unionsgeführten Länder am 27. September 2002 abgelehnt. Vereinzelt wurden auf Landesebene Korruptionsregister und Korruptionsgesetze eingeführt, so in Berlin und Nordrhein-Westfalen, die aber teilweise ziemlich unverbindlich sind. Trotz einiger Gesetzesinitiativen gibt es in Deutschland kein bundesweit gesetzlich verankertes Korruptionsregister, schreibt Wikipedia. Prinzipieller Widerstand von Union und FDPUnion und FDP fürchteten ein zentrales Register über unzuverlässige Unternehmen, denn sehr viele Firmen wären in diesem Register gelandet und wären jahrelang von öffentlichen Aufträgen ausgeschlossen gewesen und die Kommunen und Landesverwaltungen hätten immer Einsicht nehmen können. Klaus Wiesehügel erläuterte im Bundestag, dass die Zahl der legalen Arbeitsplätze mit tarifgerechter Bezahlung dramatisch immer weiter sinke und sich im gleichen Tempo illegale Strukturen ausweiteten. Seit 1995 sei ein Drittel der legalen inländischen Arbeitsplätze abgebaut worden, was mehr als eine halbe Million Menschen betreffe. Gleichzeitig sei eine Zunahme der illegalen Beschäftigung auf mindestens 300.000 zu verzeichnen. Nur mit klaren und fairen Vergaberichtlinien könne man diesem verhängnisvollen Wechselspiel begegnen und die öffentliche Hand habe dabei eine ganz besondere Verpflichtung.[9] Staatsminister Stanislaw Tillich (Sachsen) brachte die grundsätzlichen Bedenken des bürgerlichen Lagers im Bundesrat zum Ausdruck, dass der Staat Tarife erzwingen wolle, die im Markt vielleicht schon obsolet sind oder im einzelnen Unternehmen schon nicht mehr gelten. „Das geplante Gesetz zwingt die Unternehmen, ihrem Angebot die tarifvertraglichen Regelungen zugrunde zu legen, auch wenn es im Unternehmen Entgeltregelungen gibt, die den Interessen der Arbeitnehmer und dem Unternehmen eher entsprechen.“[10] Stanislaw Tillich gab auf der Sitzung des Bundesrats am 1. Februar 2002 in einer Erklärung u.a. zu Protokoll:
Auch Staatsminister Reinhold Bocklet (Bayern) gab in der Bundesratssitzung eine Erklärung zu Protokoll, in der er sich gegen eine zentrale, alle öffentlichen Auftraggeber verpflichtende Lösung wehrt, die die Bundesregierung mit einer bundeseinheitlichen Tariftreuepflicht anstrebe. Bei Bocklet klingt durch, dass der Staat den Kapitalisten nicht in den Rücken fallen dürfe, wenn es diesen gelingt, Abweichungen vom Tarifvertrag zu erzwingen. Außerdem verteidigte Bocklet einen föderalen Ansatz, wohl aus zweierlei Gründen. Erstens kann auf Landesebene viel geregelt oder eben auch nicht geregelt oder nicht kontrolliert werden, solange es kein zwingendes Bundesrecht gibt. Darauf werden wir in einem Folgeprojekt (Teil 4) noch kommen, denn offensichtlich ist eine Kontrolle der Tariftreue in Bayern und ihre Durchsetzung bis auf kommunaler Ebene wohl nicht durchgreifend erfolgt. Der zweite Gesichtspunkt für die CSU dürfte gewesen sein, auf Landesebene vielleicht eine Tariftreueregelung noch aufrechtzuerhalten, um sich in Bayern Ärger zu ersparen, auf Bundesebene eine für alle Bundesländer verpflichtende Regelung aber zu vermeiden, da Stoiber ja zu dem Zeitpunkt schon Kanzlerkandidat der Union war und sich deshalb nicht mit den zentralen Unternehmerverbänden und Unionspolitikern in dieser Sache anlegen wollte. So etwa sind Reinhold Bocklets Äußerungen im Namen Bayerns im Bundesrat zu verstehen:
Im nächsten Artikel wollen wir uns mit den Unterschieden zwischen der bayerischen Regelung und dem Gesetzentwurf des Bundes befassen. Es soll die Position der PDS behandelt werden und wie sie ihre Enthaltung bei der Abstimmung über den Gesetzentwurf der Bundesregierung begründete. Es wird die Rolle der Unternehmerverbände und ihr massiver Einfluss auf Stoiber dargestellt und wie es letztendlich zur Ablehnung eines Bundestariftreuegesetzes im Bundesrat kam. Ferner werden die aktuellen Chancen für einen erneuten Anlauf zu einem Bundesgesetz für Tariftreue erörtert. wird fortgesetzt Alle Artikel der Serie zur Tariftreue finden sich auf unserer Homepage unter region/Arbeit und Wirtschaft http://www.forumaugsburg.de/s_5region/Arbeit/
1] „Tagesordnungspunkt 35: Gesetz zur tariflichen Entlohnung bei öffentlichen Aufträgen und zur Einrichtung eines Registers über unzuverlässige Unternehmen (Drucksache 367/02), Bundesrat Plenarprotokoll 776, S. 286ff.“, 31-Mai-2002. [Online]. Verfügbar unter: http://dipbt.bundestag.de/doc/brp/776.pdf#P.290 [Zugegriffen: 22-Apr-2013] 2] „Tariftreuegesetz: Stoiber auf Konfrontationskurs mit den Gewerkschaften, Ulla Lötzer, MdB (PDS). Mitglied im Ausschuss für Wirtschaft und Technologie des Deutschen Bundestages. Zuerst erschienen am: 31.05.2002“, in: Politische Beiträge - Gesammelte Standpunkte und Meinungen zum politischen Geschehen 2002, LIT Verlag Münster, 2002. 3] Bundesrat Plenarprotokoll 776, Sitzung 31.5.2002, a.a.O. S. 293 4] siehe z.B. die beeindruckende Berichterstattung über den Baustreik auf Indymedia: „Der BAU-Streik. Eine Bilanz.“, 03-Juli-2002. [Online]. Verfügbar unter: http://de.indymedia.org/2002/07/25527.shtml. [Zugegriffen: 30-Apr-2013]. O. Harning, „Arbeitskampf am Bau“, 17-Juni-2002. [Online]. Verfügbar unter: http://de.indymedia.org/2002/06/24340.shtml. [Zugegriffen: 29-Apr-2013]. 5] „Deutscher Bundestag, Plenarprotokoll 14/234“, 26-Apr-2002. [Online]. Verfügbar unter: http://dipbt.bundestag.de/doc/btp/14/14234.pdf. [Zugegriffen: 22-Apr-2013]. 6] Bundesrat Plenarprotokoll 776, Sitzung 31.5.2002, a.a.O. S. 286 7] Nach: „Erläuterungen zur 778. Bundesratssitzung am 12. Juli 2002, Vertretung des Landes Sachsen-Anhalt beim Bund“, 12-Juli-2002. [Online]. Verfügbar unter: http://www.sachsen-anhalt.de/fileadmin/Files/778_BR.pdf. [Zugegriffen: 22-Apr-2013]. 8] Nach Wikipedia http://de.wikipedia.org/wiki/Korruptionsregister 9] Nach: Deutscher Bundestag, Plenarprotokoll 26.4.2002, a.a.O. 10] „Tagesordnungspunkt 30: Entwurf eines Gesetzes zur tariflichen Entlohnung bei öffentlichen Aufträgen und zur Einrichtung eines Registers über unzuverlässige Unternehmen (Drucksache 1079/01), Bundesrat Plenarprotokoll 772“, 01-Feb-2002. [Online]. Verfügbar unter: http://dipbt.bundestag.de/doc/brp/772.pdf. [Zugegriffen: 22-Apr-2013]. 11] Bundesrat Plenarprotokoll 1.2.2002, a.a.O. 12] Bundesrat Plenarprotokoll 1.2.2002, a.a.O.
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