Tariftreue, Teil 2

„Jetzt dem Tiger ins Auge blicken!“ – Baustreik 2002 und Kampf um ein Bundestariftreuegesetz

Zentrale Bestimmungen des Gesetzentwurfes: Das Baustellenprinzip und das Register über unzuverlässige Unternehmen


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Unionsgeführte Bundesländer sind zunächst die treibende Kraft für ein Bundesgesetz

Unter dem Eindruck von gewerkschaftlichen Demonstrationen für ein Tariftreuegesetz beriet der Bundesrat am 31. Mai 2002 das Gesetz zur tariflichen Entlohnung bei öffentlichen Aufträgen und zur Einrichtung eines Registers über unzuverlässige Unternehmen[1]. Unmittelbar vor der Sitzung des Bundesrats erklärte MdB Ulla Lötzer für die PDS[2]:

Soziale Standards und Tarifverträge brauchen Schutz durch politische Gestaltung. Deshalb habe ich mich gemeinsam mit der PDS-Fraktion für ein Tariftreuegesetz ohne Wenn und Aber eingesetzt, und deshalb haben wir die Aktionen und Arbeitsniederlegungen der Beschäftigten im öffentlichen Nahverkehr am vergangenen Montag unterstützt.

Die Gewerkschaft ver.di und IG Bau haben lange mit Unterstützung der PDS-Bundestagsfraktion Druck auf eine zögerliche Bundesregierung ausüben müssen, um kurz vor Toresschluss ein auf Druck des wirtschaftsliberalen Flügels von Bündnis 90/Die Grünen verwässertes Tariftreuegesetz zu bekommen. Die Verpflichtung öffentlicher Arbeitgeber auf die Einhaltung des repräsentativen Tarifvertrages am Ort der Leistungserbringung und die Einbeziehung von Subunternehmen ist zumindest ein Schritt in die richtige Richtung.

Mit ungeahnter Wucht begann im Jahr 2002 die erste Streikwelle der Bauarbeiter, ausgerechnet am 17. Juni. Allein in Hamburg folgten dem Aufruf der Industriegewerkschaft Bauen Agrar Umwelt (IG BAU) schon in den frühen Morgenstunden des ersten Streiktages rund 2.000 Maurer, Zimmerleute und Stahlbetonbauer und beteiligten sich an aggressiven Kampfmaßnahmen. Indymedia schrieb damals: „Damit fordert die Organisation ihre Mitglieder erstmals seit 1949 zu Flächenstreiks auf, Schwerpunkte sind dabei zunächst Hamburg, Berlin, das Ruhrgebiet und die Region zwischen Magdeburg und Leipzig. Die bundesweiten Streiks sollen in den nächsten Tagen in weiteren Streikwellen schrittweise Richtung Süden ausgeweitet werden. Dabei hat es die IG BAU von Anfang an nicht dabei belassen, die organisierten – und überwiegend tariftreuen – Betriebe zu bestreiken. In einer Vielzahl von Aktionen wurden von Beginn an vor allem auch die meist ostdeutschen Dumpingunternehmen angegriffen.So waren ab Montagmorgen insgesamt 8.000 Bauleute in den Streikgebieten unterwegs, um Streikbrecher an der Arbeit zu hindern und Baustellen lahmzulegen. Dafür mobilisierte die sonst eher zurückhaltende Baugewerkschaft seit Monaten offensiv in ihrer Mitgliedschaft - offenbar mit großem Erfolg. So versprach der Streikleiter für die Region Nord – Jürgen Lau – während einer Warnstreikdemonstration am 7. Juni in Hamburg-Harburg, dass die Betriebe – und vor allem die Dumpingunternehmen - »jetzt dem Tiger ins Auge blicken.« …
In den Tarifverhandlungen der vergangenen Wochen hatten die Arbeitgeber offenbar fest damit gerechnet, dass die IG BAU inzwischen nicht mehr in der Lage sein würde, einen Arbeitskampf zu führen. Nachdem rund 15 Jahre lang nahezu jede Tarifrunde in teils erheblichen Einbußen für das Bauhauptgewerbe endete, ohne dass es zu nennenswertem Widerstand gekommen wäre, hatten sich die zwei Bauarbeitgeberverbände für dieses Jahr anscheinend nicht weniger als die Zerschlagung der Gewerkschaft zum Ziel gesetzt. Wiedereinführung der Samstagsarbeit, 60-Stunden-Woche, Abschaffung von Überstundenzuschlägen und weitere Abschläge in allen Bereichen waren ihre Forderungen der Tarifrunde, das ganze garniert mit einer Nullrunde bei Löhnen und Gehältern. Diese frontalen Angriffe auf die Beschäftigten wirkten jedoch wie Sprengstoff: In nur wenigen Monaten gelang es der IG BAU ihre Mitglieder zu mobilisieren und Kampffähigkeit zu erreichen.
[Die IG Bau forderte] … 4,5 % mehr Lohn und Gehalt, eine deutliche Anhebung der Mindestlöhne vor allem in Ostdeutschland und die Einführung eines neuen Mindestlohnes für Facharbeiter. Der soll künftig mit etwa 12 EURO nur noch knapp unterhalb des eigentlichen Tariflohnes liegen. Zudem wurde eine Arbeitszeitverkürzung auf 37 Stunden bei vollem Lohnausgleich verlangt. …“ O. Harning, „Arbeitskampf am Bau“, 17-Juni-2002. [Online]. Verfügbar unter: http://de.indymedia.org/2002/06/24340.shtml. [Zugegriffen: 29-Apr-2013]. Foto: Baustreik 2002, Arbeitskampf in Hamburg, 2002-06-17, Olaf Harning, Indymedia

Mit der sich abzeichnenden Blockade des Tariftreuegesetzes durch die unionsgeführten Länder im Bundesrat verschärft Kanzlerkandidat Stoiber seinen Kurs gegen die Gewerkschaften, den er mit Angriffen auf Flächentarifvertrag, Kündigungsschutz und Mitbestimmung eingeleitet hat. Nun will Stoiber also den Schutz sozialer Standards und tariflicher Einkommen, den es in Bayern bereits gibt, den Beschäftigten bundesweit verwehren. Stoibers Versuche, sich gelegentlich als soziale Alternative zum „Genossen der Bosse“ darzustellen, erweisen sich damit als reine Bauernfängerei. Die Beschäftigten haben neben schönen Worten kaum Gutes von ihm zu erwarten.

Gemeinsam mit der PDS sage ich „Von Arbeit muss man leben können“. Deshalb brauchen wir ein Tariftreuegesetz für ganz Deutschland. Nachdrücklich unterstützen wir die von den Gewerkschaften geplanten Aktionen zur morgigen Bundesratssitzung, um die unionsgeführte Blockadehaltung aufzubrechen. Mit Sozial- und Lohndumping gibt es keine nachhaltige Verbesserung am Arbeitsmarkt, sondern nur den Auf- und Ausbau eines sozial ungesicherten, schlecht bezahlten Niedriglohnsektors.

Bereits im Vorjahr, im Juni 2001, hat der Bundesrat den Entwurf eines bundeseinheitlichen Tariftreuegesetzes beschlossen. Die Bundesregierung hat auf der Grundlage dieses Beschlusses einen eigenen Gesetzentwurf vorgelegt, dem der Bundesrat im ersten Durchgang Anfang des Jahres 2002 zugestimmt hat. In den kommenden Monaten jedoch bauten die unionsgeführten Länder zunehmenden Widerstand gegen ein Gesetz zur tariflichen Entlohnung bei öffentlichen Aufträgen und zur Einrichtung eines Registers über unzuverlässige Unternehmen auf, das dem Bundesrat vonseiten des Bundestags im Mai 2002 erneut vorlag.

Werner Müller, parteiloser Bundesminister für Wirtschaft und Technologie im Kabinett Schröder I, erklärte in der Debatte im Bundesrat am 31. Mai 2002[3] :

Es hat sich auch bis zu mir herumgesprochen, dass Wahlkampf ist. Gleichwohl sollte man langjährige politische Überzeugungen nur des Wahlkampfs wegen nicht über Bord werfen. Das will ich sehr deutlich in Richtung auf Bayern sagen; denn Bayern hat in Sachen „Tariftreue“ auch im Bundesrat immer den Vorreiter gespielt. Es hat als erstes Land eine eigene Tariftreueregelung für den öffentlichen Bau entwickelt und damit nach eigenem Bekunden – das ist öfter publiziert worden – für die bayerische Wirtschaft beste Erfahrungen gemacht.

Bayern gehört neben NRW und Berlin deshalb logischerweise zu den Bundesländern, die im Bundesrat am allerdeutlichsten auf ein Bundes-Tariftreuegesetz hingewirkt haben. Heute lehnt Bayern die Erfüllung seiner eigenen Bitte ab.

Das Saarland, Berlin und Bayern hatten zu diesem Zeitpunkt bereits Landesgesetze, die Tariftreue vorschrieben. Es versteht sich, dass diese Länder auf eine bundeseinheitliche Regelung drängten. Auch Rot-Grün in der Bundesregierung und NRW drängten in diese Richtung.

Im Hintergrund des politischen Tauziehens um das Bundestariftreuegesetz spielte sich nicht nur die wohl schwerste Krise der deutschen Bauwirtschaft ab, sondern seit Februar 2002 auch eine scharfe Tarifauseinandersetzung der IG Bau, die im Juni zu einem wuchtigen Flächenstreik der Bauarbeiter führte, dem ersten Streik der Gewerkschaft seit 1949. Das Ergebnis der Urabstimmung in Bayern: 99,12%. Seit rund 15 Jahren drückten vor allem die Konzerne der Bauindustrie die Löhne und zerschlugen durch den Einsatz von tarifuntreuen Subunternehmen und von Hunderttausenden ausländischer Bauarbeiter auf Basis von Kontingentverträgen systematisch die Arbeitsbedingungen am Bau.

Das Ziel der zwei Bauunternehmerverbände mit diesem Vorgehen war offenbar nicht nur die Kündigung aller Rahmentarifverträge, sondern auch die Zerschlagung der Gewerkschaft und damit eine Branche überhaupt ohne Tariflohn und eine künftige Aushandlung auf unterster Ebene. Auf diese Herausforderung wurde für die IG BAU der Streik zur Überlebensfrage.[4]

Baustreik 2002, Transparent: Ausländische Kollegen willkommen! Dumpingunternehmen angreifen!! Indymedia schreibt am 17. Juni 2002: Die Tarifauseinandersetzungen finden aber vor dem Hintergrund der bislang wohl schweren Krise der deutschen Bauwirtschaft statt. Seit rund 15 Jahren drücken vor allem die Konzerne der Bauindustrie die Löhne und zerschlagen durch den Einsatz von tarifuntreuen Subunternehmen systematisch die Arbeitsbedingungen am Bau. In dieser perfiden Entwicklung sind die größten Unternehmen gleichzeitig die schlimmsten Lohndrücker: Ob Hochtief, Walter-Bau, DYWIDAG, Züblin oder der insolvente Holzmann-Konzern – in Sachen Lohndumping zogen die Baukonzerne an einem Strang. Doch mittlerweile zieht auch das Baugewerbe kräftig mit: teils durch sinkende Baupreise gezwungen, teils aus reinem Gewinnstreben versuchen auch immer wieder Klein- und Mittelbetriebe, ihre Belegschaften im Lohn zu drücken. So zahlt mittlerweile kaum ein Betrieb in Ostdeutschland mehr den Tarif: der Mindestlohn ist oberste Grenze, auch darunter wird oftmals gearbeitet. Vor kurzem trat gar der Baugewerbeverband in Mecklenburg-Vorpommern geschlossen aus seiner Bundesorganisation aus, um die Tarife künftig unbehelligt zu unterlaufen. Das verschafft vielen Firmen entscheidende Vorteile: Alleine der Unterschied zwischen dem tariflichen Ecklohn West von etwa 14 EURO und dem Ost-Mindestlohn in Höhe von rund 9 EURO reicht aus, um Bauleistungen wesentlich billiger anzubieten.
Doch neben ostdeutschen Betrieben sind es auch oftmals süd- und osteuropäische Firmen, die nur noch Dumpinglöhne zahlen. So arbeiten alleine fast 300.000 ausländische Kollegen über so genannte Kontingentverträge jeweils einige Monate in Deutschland – meist für den Mindestlohn oder darunter. Und so laufen beispielsweise gegen den polnischen Baukonzern „BUDIMEX“ mehr als 600 Verfahren wegen Verstößen gegen die Mindestlohnverordnung und das Arbeitnehmerentsendegesetz. Während diese katastrophale Situation in den vergangenen Jahren oftmals zu rassistischen Denkmustern oder gar vereinzelten Übergriffen geführt hat, konnte die IG BAU in den letzten Monaten sehr erfolgreich gegen solche Tendenzen in ihren Reihen vorgehen – freilich ohne das Problem gänzlich zu lösen. Vermehrt wurden während der Tarifauseinandersetzung ausländische Belegschaften mit Dolmetschern aufgesucht und dazu aufgefordert, den Kampf der ortsansässigen Bauleute zu unterstützen – oftmals mit Erfolg. Und als der Bundesvorsitzende der Baugewerkschaft anläßlich einer Großdemonstration in Berlin am 31. Mai das Motto eines der vielen Transparente auf dem Potsdamer Platz hervorhob, brandete lautstarker Applaus auf: „Ausländische Kollegen Willkommen ! Dumpingunternehmer angreifen !!“ lautete die Aufschrift, die Klaus Wiesehügel vor rund 20.000 DemonstrantInnen verlas.
Vor diesem Hintergrund begann am Montag der erste Flächenstreik am Bau seit mehr als fünfzig Jahren. Überall in den Streikgebieten wurden arbeitenden Baustellen umstellt, besetzt und schließlich geräumt. Auf kaum einer der auf diese Weise heimgesuchten Arbeitsstätten blieb dabei die Strom- und Wasserversorgung intakt, auf einer Dumpinglohnbaustelle am Hamburger „Berliner Tor“ rissen wütende Bauleute gar eine gerade eingeschalte Decke wieder ein. Alleine im Großraum Hamburg traten bis Montag-Abend 2.300 Gewerkschaftsmitglieder in den Arbeitskampf ein, fast stündlich wurden weitere Belegschaften in den Streik geführt. Dazu kamen zwischen 500 und 1.000 Unorganisierte Bauleute, die sich dem Arbeitskampf solidarisch anschlossen. O. Harning, „Arbeitskampf am Bau“, 17-Juni-2002. [Online]. Verfügbar unter: http://de.indymedia.org/2002/06/24340.shtml. [Zugegriffen: 29-Apr-2013]. Foto: Baustreik 2002, Olaf Harning, Indymedia

Zentrale Bestimmungen des Gesetzentwurfes: Das Baustellenprinzip und das Register über unzuverlässige Unternehmen

Einer der Wortführer war MdB Klaus Wiesehügel (SPD), der gleichzeitig der Vorsitzende der Baugewerkschaft war. In der dritten Beratung des Gesetzes im Bundestag am 26. April 2002, bei der das Gesetz mit den Stimmen von SPD und Grünen gegen die Stimmen von CDU/CSU und FDP bei Enthaltung der PDS angenommen wurde, um dann dem Bundesrat erneut zugeleitet zu werden, sagte Klaus Wiesehügel[5] :

… ist aber auch deutlich geworden, wie notwendig eine bundeseinheitliche Regelung ist, nach der künftig öffentliche Auftraggeber Aufträge über Baumaßnahmen und im öffentlichen Personennahverkehr nur an die Unternehmen vergeben dürfen, die sich verpflichten, mindestens den am Ort der Leistungsausführung einschlägigen Lohn- und Gehaltstarif zum vertraglich vorgesehenen Zeitpunkt zu zahlen. Das ist der Kern des vorliegenden Gesetzentwurfs. Nur ein Tariftreuegesetz, das die Anwendung des Tarifvertrages am Ort der Leistungserbringung vorschreibt, schützt vor einem ruinösen Wettbewerb und sichert die Existenz der bestehenden Betriebe durch eine faire Regelung.

Wir haben auch festgelegt, dass es sich um einen repräsentativen Tarifvertrag handeln muss, der für die meisten Arbeitnehmer Anwendung findet. …

Wie im kameralistischen Denken üblich, bleiben gravierende finanzielle Auswirkungen, die das Gesetz ausdrücklich anstrebt, unberücksichtigt: Illegale Beschäftigung und damit verbundenes Lohndumping soll zumindest bei öffentlichen Aufträgen vermindert werden. Hierdurch werden entsprechende volkswirtschaftliche Schäden verringert. Zurückgedrängte illegale Beschäftigung stärkt zugleich die heimische Beschäftigung. Damit erhalten Fiskus und Sozialversicherung höhere Steuern und Abgaben. Gleichzeitig werden kommunale Kosten wie die aus Arbeitslosigkeit resultierende Sozialhilfe sowie Aufwendungen für Arbeitslosengeld und -hilfe eingespart.

(Beifall bei der SPD – Peter Rauen [CDU/ CSU]: Alles Wunschdenken!)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, das heute vorliegende Gesetz hat noch eine zweite wesentliche Komponente: die Einrichtung eines Registers über unzuverlässige Unternehmen. Diese können bei Verfehlungen wie illegaler Beschäftigung, Schwarzarbeit oder bei Verstößen gegen die Tariftreue von der Vergabe öffentlicher Aufträge ausgeschlossen werden. Durch das Register wird gewährleistet, dass die öffentlichen Auftraggeber von derartigen Ausschlüssen Kenntnis erlangen können. …

Die Vorteile eines Bundestariftreuegesetzes gegenüber den Landesgesetzen: die Gültigkeit des repräsentativen Tarifs …

Wichtig in dem Gesetz zur tariflichen Entlohnung bei öffentlichen Aufträgen und zur Einrichtung eines Registers über unzuverlässige Unternehmen ist also das sogenannte Baustellenprinzip und, wie der Name des Gesetzentwurfs schon sagt, die Einrichtung eines zentralen Registers für Unternehmen, die gegen das Gesetz verstoßen. Das Baustellenprinzip besagt, dass die Tarife vor Ort gelten und nicht die Tarife, die am Sitz des auftragnehmenden Unternehmens gelten. Und zwar soll nicht irgendein örtlicher oder regionaler Tarif gelten, sondern ein repräsentativer Tarif. Das würde sich zum Beispiel gegen spalterische Tarife christlicher Gewerkschaften richten und würde auf staatliche und kommunale Unterstützung und Bevorzugung der Tarife des DGB hinauslaufen.

Ministerpräsident Wolfgang Clement von Nordrhein-Westfalen, der übrigens behauptete, das vorliegende Gesetz gehe auf einen Antrag des Landes Nordrhein-Westfalen zurück, erläuterte das Baustellenprinzip im Bundesrat so:

Es stellt auf den sogenannten Lohn der Baustelle ab, nicht auf den Lohn des handelsrechtlichen Unternehmenssitzes. Aus meiner Sicht ist dieser Ansatz zwingend. Die tarifliche Ordnungsfunktion für den Arbeitsmarkt bleibt nur erhalten, wenn der jeweils relevante Tarifvertrag, nicht ein x-beliebiger, zufällig am handelsrechtlichen Unternehmenssitz des Bieters geltender Tarifvertrag materiell geschützt wird. Anderenfalls würde zu Gesetzesumgehungen geradezu aufgefordert; Firmensitze oder Filialen würden vermutlich dort gewählt oder pro forma gegründet, wo die günstigsten Tarifverträge gelten.[6]

… und das zentrale Antikorruptionsregister

Durch die Änderung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen sollte gewährleistet werden, dass Auftraggeber davon erfahren, wenn Unternehmen wegen schwerer Verfehlungen wie illegaler Beschäftigung, Schwarzarbeit oder Verstößen gegen die Tariftreueregelung von der Vergabe öffentlicher Aufträge ausgeschlossen wurden. Als Informationsgrundlage sollte beim Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle ein zentrales Register (Antikorruptionsregister) eingerichtet werden.

Für Nachunternehmer sollte das Gesetz generell und unmittelbar gelten, das heißt auch in Bezug auf die nach dem Gesetz eingeräumten Sanktionsmöglichkeiten (Ausschluss von öffentlichen Aufträgen, Aufnahme in das Antikorruptionsregister etc.).

Die Einhaltung der Tariftreue sollte durch die Zollverwaltung kontrolliert werden.[7]

In Diskussion stand, dass Öffentliche Auftraggeber gesetzlich verpflichtet werden sollten, Personen und Unternehmen an das Register zu melden, sobald schwere Verfehlungen bekannt werden.

Diskutiert wurde, die registerführende Stelle beim Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle einzurichten. Zugriffsberechtigt könnten dann nicht nur Staatsanwälte und Landeskriminalämter sein. Auch den ausschreibenden Kommunen und anderen öffentlichen Auftraggebern würde der Zugriff erteilt werden.[8]

Die Koalitionsfraktionen haben kurzfristig einen Entwurf eines eigenen Gesetzes zur Einrichtung eines Registers über unzuverlässige Unternehmen eingebracht, da angesichts der nach wie vor unveränderten Auffassung von CDU/CSU-regierten Ländern nicht mit einer Zustimmung des Bundesrates zum Tariftreuegesetz zu rechnen war. Das Gesetz des Bundestags zur Einrichtung eines Registers über unzuverlässige Unternehmen („Korruptionsregister“) wurde im Bundesrat mit den Stimmen der unionsgeführten Länder am 27. September 2002 abgelehnt.

Vereinzelt wurden auf Landesebene Korruptionsregister und Korruptionsgesetze eingeführt, so in Berlin und Nordrhein-Westfalen, die aber teilweise ziemlich unverbindlich sind. Trotz einiger Gesetzesinitiativen gibt es in Deutschland kein bundesweit gesetzlich verankertes Korruptionsregister, schreibt Wikipedia.

Prinzipieller Widerstand von Union und FDP

Union und FDP fürchteten ein zentrales Register über unzuverlässige Unternehmen, denn sehr viele Firmen wären in diesem Register gelandet und wären jahrelang von öffentlichen Aufträgen ausgeschlossen gewesen und die Kommunen und Landesverwaltungen hätten immer Einsicht nehmen können. Klaus Wiesehügel erläuterte im Bundestag, dass die Zahl der legalen Arbeitsplätze mit tarifgerechter Bezahlung dramatisch immer weiter sinke und sich im gleichen Tempo illegale Strukturen ausweiteten. Seit 1995 sei ein Drittel der legalen inländischen Arbeitsplätze abgebaut worden, was mehr als eine halbe Million Menschen betreffe. Gleichzeitig sei eine Zunahme der illegalen Beschäftigung auf mindestens 300.000 zu verzeichnen. Nur mit klaren und fairen Vergaberichtlinien könne man diesem verhängnisvollen Wechselspiel begegnen und die öffentliche Hand habe dabei eine ganz besondere Verpflichtung.[9]

Staatsminister Stanislaw Tillich (Sachsen) brachte die grundsätzlichen Bedenken des bürgerlichen Lagers im Bundesrat zum Ausdruck, dass der Staat Tarife erzwingen wolle, die im Markt vielleicht schon obsolet sind oder im einzelnen Unternehmen schon nicht mehr gelten. „Das geplante Gesetz zwingt die Unternehmen, ihrem Angebot die tarifvertraglichen Regelungen zugrunde zu legen, auch wenn es im Unternehmen Entgeltregelungen gibt, die den Interessen der Arbeitnehmer und dem Unternehmen eher entsprechen.“[10] Stanislaw Tillich gab auf der Sitzung des Bundesrats am 1. Februar 2002 in einer Erklärung u.a. zu Protokoll:

Berlin, 31.05.2002. Mehrere Zehntausend Bauarbeiter demonstrieren für die Verabschiedung des Tariftreuegesetzes am selben Tag im Bundesrat in Berlin.
Foto: Andreas Schoelzel, mit freundlicher Genehmigung der Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt, Bundesvorstand, Redaktion „Der Grundstein/Der Säemann“

… Die durch das Gesetz angestrebte Beschränkung öffentlicher Auftraggeber auf die Erteilung von Aufträgen nur an solche Auftragnehmer und ihnen nachgeordnete Auftragnehmer, die sich verpflichten, ihre Arbeitnehmer nach dem jeweilig gültigen Tarif zu bezahlen, auch wenn Arbeitgeber oder Arbeitnehmer nicht tarifgebunden sind, soll derzeit auf den Baubereich und den öffentlichen Personennahverkehr angewendet werden. Mit dem Gesetz wird jedoch eine generelle Präjudizierung der Entscheidungsfreiheit öffentlicher Auftraggeber eingeleitet. In vielen Bereichen, insbesondere auf kommunaler Ebene, wird die Privatisierung bisher öffentlich ausgeführter Arbeiten erwogen, um die öffentliche Verwaltung zu entlasten und effizientere Problemlösungen zu erreichen. Auch hier wird es dann um die Frage gehen, ob nur solche Unternehmen als Auftragnehmer infrage kommen, die ihren Mitarbeitern Tariflöhne zahlen, selbst wenn diese nicht tarifgebunden sind. Was für den Baubereich und den öffentlichen Personennahverkehr gilt, müsste dann in gleicher Weise für alle sonstigen Leistungen gelten, die öffentliche Auftraggeber im Markt nachfragen.

Offenbar schwebt auch dem Bundeswirtschaftsminister eine derartige generelle Praxis vor. Denn in seiner Rede vor dem Bundestag am 25. Januar 2002 führte er unter anderem aus: „Sosehr die Tarifpartner für wirtschaftlich tragbare und vernünftige Tarifvereinbarungen sorgen müssen – der Staat kann die Augen nicht verschließen, wenn in einer Branche Tarifvereinbarungen obsolet zu werden drohen. Das ist nicht im Sinne unserer Verfassung.“

Mit dieser Formulierung nimmt die Regierung eine generelle Kompetenz des Staates in Anspruch, Tarifvereinbarungen, die sich im Markt als obsolet erweisen, durch staatliche Intervention zu erzwingen. Es ist unerfindlich, wie ein solcher genereller staatlicher Regelungsanspruch mit Artikel 9 Abs. 3 Grundgesetz in Einklang gebracht werden könnte.[11]

Auch Staatsminister Reinhold Bocklet (Bayern) gab in der Bundesratssitzung eine Erklärung zu Protokoll, in der er sich gegen eine zentrale, alle öffentlichen Auftraggeber verpflichtende Lösung wehrt, die die Bundesregierung mit einer bundeseinheitlichen Tariftreuepflicht anstrebe. Bei Bocklet klingt durch, dass der Staat den Kapitalisten nicht in den Rücken fallen dürfe, wenn es diesen gelingt, Abweichungen vom Tarifvertrag zu erzwingen. Außerdem verteidigte Bocklet einen föderalen Ansatz, wohl aus zweierlei Gründen. Erstens kann auf Landesebene viel geregelt oder eben auch nicht geregelt oder nicht kontrolliert werden, solange es kein zwingendes Bundesrecht gibt. Darauf werden wir in einem Folgeprojekt (Teil 4) noch kommen, denn offensichtlich ist eine Kontrolle der Tariftreue in Bayern und ihre Durchsetzung bis auf kommunaler Ebene wohl nicht durchgreifend erfolgt. Der zweite Gesichtspunkt für die CSU dürfte gewesen sein, auf Landesebene vielleicht eine Tariftreueregelung noch aufrechtzuerhalten, um sich in Bayern Ärger zu ersparen, auf Bundesebene eine für alle Bundesländer verpflichtende Regelung aber zu vermeiden, da Stoiber ja zu dem Zeitpunkt schon Kanzlerkandidat der Union war und sich deshalb nicht mit den zentralen Unternehmerverbänden und Unionspolitikern in dieser Sache anlegen wollte. So etwa sind Reinhold Bocklets Äußerungen im Namen Bayerns im Bundesrat zu verstehen:

Der von der Bundesregierung vorgelegte Entwurf für ein Gesetz zur tariflichen Entlohnung bei öffentlichen Aufträgen sieht eine bundeseinheitliche Tariftreuepflicht bei der Vergabe öffentlicher Bauaufträge vor. Damit hat die Bundesregierung alle Beteiligten vor vollendete Tatsachen gestellt. Sie hat sich für eine zentrale, alle öffentlichen Auftraggeber verpflichtende Lösung entschieden.

Eine bundeseinheitliche Tariftreueverpflichtung ist keine geeignete Lösung zur Verhinderung von Dumpinglöhnen und Wettbewerbsverzerrungen im Baubereich. Regionale Unterschiede, die in der Vergangenheit von den Tarifpartnern bei Tarifverhandlungen berücksichtigt worden sind, würden durch eine bundeseinheitliche Regelung nämlich außer Kraft gesetzt. Vorzugswürdig sind daher länderspezifische Lösungen, die im Einvernehmen mit den Sozialpartnern entwickelt werden, wie dies beispielsweise bei der im Beschäftigungspakt Bayern erarbeiteten landesrechtlichen Tariftreueregelung geschehen ist.

Ich möchte in diesem Zusammenhang an den bayerischen Gesetzesantrag für Tariftreueerklärungen vom 26. Juli 2000 erinnern, den der Bundesrat nach eingehender Beratung am 21. Dezember 2000 beschlossen hat. Dieser Gesetzentwurf hat bewusst und gezielt einen föderalen Ansatz gewählt. Danach sollte der jeweilige Landesgesetzgeber eigenständig bestimmen können, dass Bauaufträge von öffentlichen Auftraggebern nur an solche Unternehmen vergeben werden, die sich bei der Angebotsabgabe zur Tariftreue verpflichten.[12]

Im nächsten Artikel wollen wir uns mit den Unterschieden zwischen der bayerischen Regelung und dem Gesetzentwurf des Bundes befassen. Es soll die Position der PDS behandelt werden und wie sie ihre Enthaltung bei der Abstimmung über den Gesetzentwurf der Bundesregierung begründete. Es wird die Rolle der Unternehmerverbände und ihr massiver Einfluss auf Stoiber dargestellt und wie es letztendlich zur Ablehnung eines Bundestariftreuegesetzes im Bundesrat kam. Ferner werden die aktuellen Chancen für einen erneuten Anlauf zu einem Bundesgesetz für Tariftreue erörtert.

Peter Feininger

wird fortgesetzt

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Alle Artikel der Serie zur Tariftreue finden sich auf unserer Homepage unter region/Arbeit und Wirtschaft http://www.forumaugsburg.de/s_5region/Arbeit/

 

1] „Tagesordnungspunkt 35: Gesetz zur tariflichen Entlohnung bei öffentlichen Aufträgen und zur Einrichtung eines Registers über unzuverlässige Unternehmen (Drucksache 367/02), Bundesrat Plenarprotokoll 776, S. 286ff.“, 31-Mai-2002. [Online]. Verfügbar unter: http://dipbt.bundestag.de/doc/brp/776.pdf#P.290 [Zugegriffen: 22-Apr-2013]

2] „Tariftreuegesetz: Stoiber auf Konfrontationskurs mit den Gewerkschaften, Ulla Lötzer, MdB (PDS). Mitglied im Ausschuss für Wirtschaft und Technologie des Deutschen Bundestages. Zuerst erschienen am: 31.05.2002“, in: Politische Beiträge - Gesammelte Standpunkte und Meinungen zum politischen Geschehen 2002, LIT Verlag Münster, 2002.

3] Bundesrat Plenarprotokoll 776, Sitzung 31.5.2002, a.a.O. S. 293

4] siehe z.B. die beeindruckende Berichterstattung über den Baustreik auf Indymedia: „Der BAU-Streik. Eine Bilanz.“, 03-Juli-2002. [Online]. Verfügbar unter: http://de.indymedia.org/2002/07/25527.shtml. [Zugegriffen: 30-Apr-2013]. O. Harning, „Arbeitskampf am Bau“, 17-Juni-2002. [Online]. Verfügbar unter: http://de.indymedia.org/2002/06/24340.shtml. [Zugegriffen: 29-Apr-2013].

5] „Deutscher Bundestag, Plenarprotokoll 14/234“, 26-Apr-2002. [Online]. Verfügbar unter: http://dipbt.bundestag.de/doc/btp/14/14234.pdf. [Zugegriffen: 22-Apr-2013].

6] Bundesrat Plenarprotokoll 776, Sitzung 31.5.2002, a.a.O. S. 286

7] Nach: „Erläuterungen zur 778. Bundesratssitzung am 12. Juli 2002, Vertretung des Landes Sachsen-Anhalt beim Bund“, 12-Juli-2002. [Online]. Verfügbar unter: http://www.sachsen-anhalt.de/fileadmin/Files/778_BR.pdf. [Zugegriffen: 22-Apr-2013].

9] Nach: Deutscher Bundestag, Plenarprotokoll 26.4.2002, a.a.O.

10] „Tagesordnungspunkt 30: Entwurf eines Gesetzes zur tariflichen Entlohnung bei öffentlichen Aufträgen und zur Einrichtung eines Registers über unzuverlässige Unternehmen (Drucksache 1079/01), Bundesrat Plenarprotokoll 772“, 01-Feb-2002. [Online]. Verfügbar unter: http://dipbt.bundestag.de/doc/brp/772.pdf. [Zugegriffen: 22-Apr-2013].

11] Bundesrat Plenarprotokoll 1.2.2002, a.a.O.

12] Bundesrat Plenarprotokoll 1.2.2002, a.a.O.


   
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