![]() |
||||
Ostermarsch 2019 in AugsburgRede von Thomas Hacker – VVN-BdA –
|
|
|
Einleitung:
Die Inhalte des zweiten Minsker Abkommens werden die deutschsprachigen Nachrichtenleserinnen und -leser überraschen. Es enthält wesentlich weiter gehende Bestimmungen als „nur“ ein Ende der Kämpfe in der Ostukraine. In Minsk wurden große Reformen vereinbart, die zum Teil für die ganze Ukraine gelten, z. B. eine Dezentralisierung des Landes, regionale amtssprachliche Selbstbestimmung, Abzug ausländischer Soldaten aus der ganzen (!) Ukraine u.v.m.
Nur: Kiew will davon wenig wissen, wird mehr oder weniger nur symbolisch tätig. Dessen westliche Verbündete schweigen im Großen und Ganzen – einschließlich der Garantiemächte des Abkommens, Deutschland und Frankreich.
Erläuterungen zum Abkommen:
1. Das Minsker Abkommen „Minsk Il“ heißt offiziell:
„Erklärung des Präsidenten der Russischen Föderation, des Präsidenten der Ukraine, des Präsidenten der Französischen Pepublik und der Bundeskanzlerin der Bundesrepublik Deutschland zur Unterstützung des Maßnahmenpakets zur Umsetzung der Minsker Vereinbarungen angenommen am 12. Februar 2015 in Minsk"
Nur dieses - recht kurze - Dokument wurde von den oben genannten Staatschefs unterzeichnet.
2. Der „Maßnahmenkatalog“
Der längere inhaltliche Teil mit konkreten Maßnahmen wurde von der so genannten Trilateralen Kontaktgruppe unterzeichnet. Diese besteht aus der Schweizer OSZE- Botschafterin Heidi Tagliavini, dem früheren Präsidenten der Ukraine, Leonid Kutschma, dem russischen Botschafter in Kiew, Michail Surabow und - ohne Funktionsangabe - den Vertretern der beiden Volksrepubliken, Alexander Sachartschenko (DNR) und lgor Plotnitski (LNR). Dieser Teil heißt „Maßnahmenkatalog zur Umsetzung der Minsker Vereinbarungen; 12. Februar 2015 ”.
Der Grund für diese Teilung in zwei Dokumente ist sicher der, dass die (westlichen) Staatschefs kein Abkommen mit Vertretern der Volksrepubliken unterzeichnen wollten, was einer Anerkennung gleichgekommen wäre.
3. Die „Sondergebiete“:
Mit den “Sondergebieten der Oblaste Donezk und Lugansk der Ukraine” (manchmal auch mit „Einzelne Gebiete der Oblaste ...“ übersetzt) sind die Volksrepubliken Donezk und Lugansk in ihrer heutigen Ausdehnung gemeint, also das „Separatistengebiet” in der Ostukraine. Ich kürze sie im Text mit „SDL“ ab.
4. Das ukrainische Gesetz „Über die provisorische Regelung der kommunalen Selbstverwaltung in den Sondergebieten der Oblaste Donezk und Lugansk“
Auf diesen Gesetzentwurf vom September 2014, der im Rahmen von Minsk l entstanden war, wird mehrmals Bezug genommen. Seine Kerninhalte wurden als „Anmerkung“ zum Maßnahmenkataiog Teil von Minsk ll. Sie stehen am Ende des Dokuments und sind zentral. - Ich nenne das Gesetz im Text UkrGesSV.
5. Zu den vereinbarten Wahlen
Die von mir als Kommunalwahlen bezeichneten vorgesehenen Wahlen werden häufig auch als Regionalwahlen übersetzt („mestnye“ heißt „örtliche”). Das ist durchaus ein Pol?tikum. Denn Kiew will diese Wahlen eher auf Gemeindeebene verstanden wissen, während die „Separatisten” sicherlich auf Ebene ihrer Republiken wählen möchten, um diese in irgendeiner Form als territoriale Einheiten zu erhalten.
Das Abkommen im Wortlaut (offizielle Übersetzung der Bundesregierung)
Der Präsident der Russischen Föderation, Wladimir Putin, der Präsident der Ukraine, Petro Poroschenko, der Präsident der Französischen Republik, François Hollande, und die Bundeskanzlerin der Bundesrepublik Deutschland, Angela Merkel, bekräftigen ihre uneingeschränkte Achtung der Souveränität und der territorialen Unversehrtheit der Ukraine.
Sie sind der festen Überzeugung, dass es zu einer ausschließlich friedlichen Lösung keine Alternative gibt. Sie sind fest entschlossen, zu diesem Zweck einzeln und gemeinsam alle möglichen Maßnahmen zu treffen.
Vor diesem Hintergrund unterstützen die Staats- und Regierungschefs das am 12. Februar 2015 angenommene und unterzeichnete Maßnahmenpaket zur Umsetzung der Minsker Vereinbarungen, das von allen Unterzeichnern des Minsker Protokolls vom 5. September 2014 und des Minsker Memorandums vom 19. September 2014 unterschrieben wurde. Die Staats- und Regierungschefs werden zu diesem Prozess beitragen und ihren Einfluss auf die jeweiligen Parteien ausüben, um die Umsetzung dieses Maßnahmenpakets zu erleichtern.
Der Maßnahmenkatalogs im Wortlaut (Übersetzung und Anmerkungen in eckigen Klammern sowie alle Hervorhebungen und Fußnoten von Thomas Hacker)
[Waffenstillstand und Abzug schwerer Waffen]
1. Unverzüglicher und vollumfänglicher Waffenstillstand in den SDL und seine strikte Einhaltung ab 15. Februar 2015, 00 Uhr 00 Minuten (Kiewer Zeit).
2. Abzug aller schweren Waffen durch beide Seiten, auf gleiche Entfernung, um eine Sicherheitszone mit einer Mindestbreite von 50 Kilometern für Artilleriesysteme mit einem Kaliber von 100 mm und mehr, eine Sicherheitszone mit einer Mindestbreite von 70 Kilometern für Raketenwerfer und von 140 Kilometern für Raketenwerfer der Typen "Tornado S", "Uragan" und "Smertsch" sowie fur die taktischen Raketensysteme vom Typ "Totschka" ("Totschka-U") zu gewährleisten:- für die ukrainischen Streitkräfte: gemessen von der tatsächlichen Berührungslinie;
- für die bewaffneten Verbände der SDL: gemessen von der Berührungslinie gemäß dem Minsker Memorandum vom 19. September 2014 [Minsk l].
Der Rückzug der oben genannten schweren Waffen muss spätestens am zweiten Tag nach dem Waffenstillstand beginnen und innerhalb von 14 Tagen vollzogen werden [also 17. Februar bis 3. März].
3. Es ist ein effizientes Monitoring und die Verifizierung der Einhaltung des Waffenstillstands und des Abzugs der schweren Waffen von Seiten der OSZE durchzuführen, beginnend mit dem ersten Tag des Abzugs der Waffen, unter Einbezug aller notwendigen technischen Mittel, einschließlich von Satelliten, Drohnen, Radar und anderen.
[Kommunalwahlen in Abstimmung mit „Separatisten"]
4. ln Übereinstimmung mit der ukrainischen Gesetzgebung und dem UkrGesSV ist am ersten Tag nach dem Abzug [also am 1. März 2015] ein Dialog über den Modus der
Kommunalwahlen sowie über den künftigen Status dieser Gebiete auf der Grundlage des genannten Gesetzes zu beginnen. 1
Es ist unverzüglich, innerhalb von 30 Tagen ab der Unterzeichnung des vorliegenden Dokuments [also bis 16. März], von der Obersten Rada der Ukraine ein Beschluss zu
fassen, der in Übereinstimmung mit dem UkrGesSV das Gebiet bezeichnet, für das die
Sonderverwaltung gilt, und zwar auf Basis der Linie, die im Minsker Memorandum vom 19.September 2014 definiert ist.
[Straffreiheit]
5. Es hat eine Begnadigung und Amnestie zu erfolgen, indem ein Gesetz in Kraft gesetzt wird, das die Verfolgung und Bestrafung von Personen in Zusammenhang mit den Ereignissen, die in den SDL stattgefunden haben, verbietet. 2
[Gefangenaustausch]
[Humanitäre Hilfe]
[Wiederherstellung sozialer und wirtschaftlicher Verbindungen mit Kiew]
8. Definition der Modalitäten für eine vollständige Wiederherstellung der sozialen und wirtschaftlichen Verbindungen, einschließlich der Überweisung von Sozialleistungen wie Rentenzahlungen und anderer Zahlungen (Zugänge und Einkünfte, rechtzeitige Bezahlung aller kommunalen Rechnungen, Wiederherstellung der Besteuerung im Rahmen des Rechtsfelds der Ukraine).
Zu diesem Zweck stellt die Ukraine die Arbeit ihres Bankensystems in den Gebieten, die vom Konflikt betroffen sind, wieder her, und es wird möglicherweise ein internationaler Mechanismus zur Erleichterung solcher Überweisungen installiert. 4
[Wiedererlangung der Kontrolle über die Staatsgrenzen von Seiten Kiews]
9. Wiederherstellung der vollständigen Kontrolle über die Staatsgrenze von Seiten der ukrainischen Regierung im gesamten Konfliktgebiet, zu beginnen am ersten Tag nach den Kommunalwahlen und abzuschließen nach der vollständigen politischen Regulierung (Kommunalwahlen in den SDL auf Grundlage des UkrGesSV und einer Verfassungsreform) bis zum Ende des Jahres 2015, unter der Bedingung einer Umsetzung von Punkt 11 - durch Konsultationen und in Abstimmung mit den Vertretern der SDL im Rahmen der Trilateralen Kontaktgruppe.
[Abzug aller ausländischen bewaffneten Einheiten aus der Ukraine]
10. Abzug aller ausländischen bewaffneten Einheiten und Militärtechnik sowie der Söldner vom Territorium der Ukraine unter Beobachtung durch die OSZE. Entwaffnung aller illegalen Gruppen. 5
[Verfassungsreform und Dezentralisierung der Ukraine]
11. Durchführung einer Verfassungsreform in der Ukraine und Inkrafttreten einer neuen Verfassung bis Ende 2015, die als Schlüsselelement die Dezentralisierung (unter Berücksichtigung der Besonderheiten der SDL) aufweist und die mit den Vertretern dieser Gebiete abgestimmt ist, sowie die Verabschiedung einer ständigen Gesetzgebung über einen Sonderstatus der SDL, in Übereinstimmung mit den Maßnahmen, die in den Anmerkungen aufgeführt sind, bis zum Ende des Jahres 2015. (siehe Anmerkung [am Ende]) 6
[Zusammenarbeit mit „Separatisten” und OSZE]
12. Auf Grundlage des ukrainischen UkrGesSV werden die Fragen, die die Kommunalwahlen betreffen, mit den Vertretern der SDL im Rahmen der Trilateralen Kontaktgruppe abgestimmt und vereinbart. Die Wahlen werden unter Beachtung der einschlägigen OSZE-Standards und unter Beobachtung von Seiten des OSZE-Büros für Demokratische Institutionen und Menschenrechte (ODIHR) durchgeführt.
13. Die Tätigkeit der Trilateralen Kontaktgruppe ist zu intensivieren, unter anderem im Wege der Zusammenstellung von Arbeitsgruppen zur Umsetzung entsprechender Aspekte der Minsker Vereinbarungen. Sie [die Arbeitsgruppen] werden die Zusammensetzung der Trilateralen Kontaktgruppe widerspiegeln.Anmerkung:
Solche [diese] Maßnahmen schließen in Übereinstimmung mit dem UkrGesSV Folgendes ein:
- Die Freistellung von Strafe, Strafverfolgung und Diskriminierung von Personen im Zusammenhang mit den Ereignissen in den SDL;
- Das Recht auf [amts-]sprachliche Selbstbestimmung; 7
- Die Beteiligung der Organe der lokalen Selbstverwaltung an der Besetzung der leitenden Positionen der Staatsanwaltschaft und der Gerichte in den SDL;
- Die Möglichkeit für die Organe der zentralen Exekutive [Kiew; TH] , mit den entsprechenden Organen der lokalen Selbstverwaltung in den SDL Vereinbarungen hinsichtlich der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Entwicklung zu treffen;
- Der Staat [Kiew; TH] leistet bei der sozialen und wirtschaftlichen Entwicklung der SDL Unterstützung;
- Die Kooperation von Seiten der Exekutive [Kiew; TH] bei grenzüberschreitender Zusammenarbeit der SDL mit Regionen der Russischen Föderation; 8
- Die Schaffung von Einheiten der Volkspolizei durch Entscheidung örtlicher Räte [=Parlamente; TH] mit dem Ziel der Unterstützung der öffentlichen Ordnung in den SDL;
- Die Befugnisse der Abgeordneten örtlicher Räte und Amtspersonen, welche in vorgezogenen Wahlen, angesetzt durch die Oberste Rada, gewählt werden, können nicht vorzeitig außer Kraft gesetzt werden. 9
Das Dokument unterzeichneten die Teilnehmer der Trilateralen Kontaktgruppe:
Botschafter Heidi Tagliavini
Der zweite Präsident der Ukraine, L. D. Kutschma
Der Botschafter der Russischen Föderation in der Ukraine, M. Ju. Surabow
A. W. Sachartschenko [für die DNR, aber hier aus diplomatischen Gründen nur als Person]
I. W. Plotnitski [für die LNR, aber hier aus diplomatischen Gründen nur als Person]
1 Diesen Dialog verweigert Kiew bis heute. Seine westlichen Verbündeten schweigen.
2 Bis jetzt wurde nichts von einem Amnestiegesetz bekannt.
3 Ein Gefangenenaustausch erfolgt sporadisch.
4 Kiew zahlt noch immer keine Renten aus. Eine Wiederherstellung der Bankverbindungen fehlt. Der Dialog mit den „Separatisten“ wird weiterhin abgelehnt. Der Westen schweigt.
5 Der Abzug aller (!) ausländischen Militärs bezieht sich auf die ganze Ukraine. Die Manöver unter Beteiligung der Bundeswehr verstoßen gegen das Abkommen, insbesondere da Deutschland eine der drei Garantiemächte ist. Sollte Rußland Kämpfer in der Ukraine haben, würde auch dies gegen das Abkommen verstoßen.
6 Kiew erarbeitet wohl eine Verfassungsreform, verweigert aber den vertraglich vereinbarten Dialog bis heute. Seine westlichen Verbündeten schweigen.
7 Russisch als mögliche regionale Amtssprache
8 Kooperation der Ost- Regionen mit Nachbarregionen Russlands
9 Die von den „Separatisten“ angesetzten Wahlen entsprechen also nicht dem Abkommen. Kiew redet aber nicht mit ihnen. -> Dilemma
![]() |
nach oben |