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Problematisches Interview mit dem chinesischen Militärstrategen Tong ZhaoLaut Neuem Deutschland hält es China angeblich für „nutzlos, mit dem Westen zu reden“ 24.9.2021 Am 4. Juli 20 21 erschien im Neuen Deutschland ein Interview mit Tong Zhao: „China hält es für nutzlos, mit dem Westen zu reden“ ( 1 ), der fast gleichlautend, mit ähnlichen Überschriften, in den folgenden Tagen in diversen deutschsprachigen Zeitungen erschien ( 2 ) . Der Interviewte Tong Zhao ist Senior Fellow im Nuclear Policy Program der Carnegie Endowment for International Peace mit Sitz in Peking am Carnegie-Tsinghua Center for Global Policy. Der Präsident dieser Gesellschaft in China ist Paul Haenle. Er hat im Pentagon für den Generalstabschef gearbeitet und später im Weißes Haus für Bush und Obama. Den Vorsitz der Dachgesellschaft Carnegie Stiftung für internationalen Frieden hat William J. Burns, ehemaliger Vizeaußenminister und jetziger Direktor der CIA. Der Interviewer Fabian Kretschmer verkauft seine Artikel über China u.a. zu folgenden Themen: China auf Kuschelkurs mit Taliban, Heute Kabul, morgen Taipeh, Chinas neues Datenschutzgesetz – Staat darf weiter schnüffeln. Auf den ersten Blick wird in diesem Interview die chinesische Sichtweise zu militärstrategischen chinesischen Angelegenheiten dargelegt. Dass stattdessen China militärische Aggressivität unterstellt wird, will ich i m F olgendem darlegen. Ich gebe hier jeweils eine Reihe von Fragen Fabian Kretschmers und Antworten Tong Zhaos komplett wieder und kommentiere. Ich beziehe mich in meiner Rezension vor allem auf „China‘s National Defense in the New Era – Chinas Landesverteidigung in der neuen A¨ra “ ( 3 ), ein relativ aktuelles Dokument des chinesischen Verteidigungsministeriums vom Juli 2019, das ich in einer Übersetzung durch deepl verwende und im Text verkürzt mit CND (China‘s National Defense) bezeichne. Frage: Der Westen bemüht sich, Chinas militärische Aufrüstung zu begreifen. Wie würden Sie die übergeordnete Strategie der Volksrepublik beschreiben? Antwort: Es gibt zwei Hauptkategorien: Das erste Ziel Chinas besteht darin, seine – laut Eigenwahrnehmung – nationalen Interessen verteidigen zu können. Dazu gehört die nationale Vereinigung mit Taiwan sowie die Sicherung von Territorialansprüchen, einschließlich der Landgrenzen zu Indien und den maritimen Ansprüchen im Südchinesischen Meer. Kommentar: Im Papier der CND steht dazu folgendes:
Die Haltung der Chinesen ist – im Gegensatz zu den Ausführungen von Tong Zhao –, erst die Weltlage zu untersuchen und dann die unterschiedlichen Bedrohungslagen für China zu definieren und dann die innere Lage Chinas und auch hier die Bedrohungen zu definieren. Tong Zhao unterstellt hier eine eher imperiale, konfrontative Haltung. Der Text der CND nimmt eher eine defensive Haltung ein. Frage: Haben sich die militärischen Ambitionen verändert, seit Xi Jinping die Macht übernommen hat und das Land zu neuer Größe führen möchte? Antwort: In Bezug auf die gerade erwähnte erste Kategorie ist die Denkweise mehr oder weniger gleich geblieben. China sieht die größte Herausforderung für seine Sicherheitsinteressen in anderen Großmächten, die sich einmischen könnten. Aber was sich geändert hat, ist das Tempo der militärischen Modernisierung. In den vergangenen Jahren konnte China aufgrund des schnellen Wirtschaftswachstums mehr in den Militärsektor investieren. Nachdem Xi Jinping an die Macht gekommen war, rief er dazu auf, den »Traum von einem starken Militär« zu verwirklichen. Kommentar: Im Gegensatz dazu analysiert die CND:
Wenn die Mechanisierung noch nicht abgeschlossen ist, laufen Teile der Soldaten noch zu Fuß und können nicht transportiert werden. Ebenso ist die computergestützte Informationsbeschaffung (Informatisierung) noch mangelhaft. Computergestützte Informationsbeschaffung ist heute von wesentlicher Bedeutung für die Gefechtsfeldbeurteilung und die Führung von Gefechten. An beiden Punkte ist China eher dabei aufzuholen bzw. gleichzuziehen. Frage: Chinas Militärausgaben steigen jährlich um rund sieben Prozent, liegen jedoch weltweit an zweiter Stelle – deutlich hinter den USA. Kritiker sagen, dass die offiziellen Zahlen Chinas militärische Macht nicht adäquat widerspiegeln. Antwort: Als chinesischer Analyst bin ich nicht in der Lage, Chinas offiziell erklärte Militärhaushalte kritisch zu bewerten. Aber ich stimme Ihrer Beschreibung zu, dass ausländische Analysten unterschiedliche Ansichten darüber haben, wie glaubwürdig der offiziell verlautbarte Haushalt tatsächlich das Niveau der Militärinvestitionen widerspiegelt. Diese haben darauf hingewiesen, dass es schwer zu sagen ist, was genau im Verteidigungshaushalt enthalten ist, zum Beispiel bestimmte Ausgaben für Forschung und Entwicklung. Und natürlich muss man auch die Kaufkraft eines Landes berücksichtigen. Das würde die Höhe des chinesischen Budgets im Verhältnis zu den Ausgaben anderer Länder erheblich verändern. Kommentar: Tong Zhao deutet damit an, dass sich seine Haltung von der offiziellen chinesischen Sichtweise unterscheidet, aber er sich nicht äußern darf. Er tut es dann aber doch, indem er sich hinter ausländischen Analysten versteckt. Die Bewertung nach Kaufkraft gibt keine wesentliche Veränderung: Laut statista betrugen die Militärausgaben der USA 2020 778 Milliarden Dollar, die Chinas 252 Milliarden Dollar (das sind 32,4 Prozent der amerikanischen) ( 4 ). Laut IWF ist die Prognose für 2020 beim kaufkraftbereinigten BIP: US 20,9 Billionen Dollar, China 24,1 Billionen Dollar, also rund 13,3 Prozent mehr ( 5 ). Damit würden die chinesischen Militärausgaben 2020 auf rund 286 Milliarden Dollar ansteigen und somit 36,8 Prozent der amerikanischen betragen. Das heißt, die Berücksichtigung der Kaufkraft macht einen Unterschied von 4,4 Prozent aus. Das ist keine signifikante Veränderung des chinesischen Budgets gegenüber dem der USA. Dass bestimmte Ausgaben unter Umständen nicht enthalten sind, ist aus den westlichen Militärhaushalten geläufig. Frage: Inwiefern beschleunigt der Westen – insbesondere die USA – mit seiner deutlich aggressiveren Chinapolitik die Militarisierung Pekings? Antwort: Wenn China eine größere Bedrohung durch die USA wahrnimmt, dann wächst die Dringlichkeit für Peking, seine militärische Macht weiter aufzubauen, um dieser wahrgenommenen Bedrohung entgegenzuwirken. Ich gebe Ihnen ein Beispiel: China hatte bislang eine eher zurückhaltende Nuklearstrategie gefahren. Das Nukleararsenal war jahrzehntelang viel kleiner als das der Vereinigten Staaten, weil Chinas allgemeine Sicherheitsbeziehung zu den USA während dieser Zeit zwar nicht gut, aber relativ stabil war. China sah keine unmittelbare nukleare Bedrohung durch die USA. Frage: Doch jetzt baut China seine Nuklearstreitkräfte schneller auf als je zuvor. Antwort: Chinas Führer Xi Jinping selbst hat dem chinesischen Militär befohlen, die Entwicklung strategischer Abschreckungsfähigkeiten zu beschleunigen. Das ist ein deutliches Signal von oberster Ebene. Und dahinter stehen mehrere treibende Kräfte. Ursprünglich war Chinas Ziel immer, eine überlebensfähige und sichere Zweitschlagfähigkeit aufzubauen, damit die USA nicht in Betracht ziehen würden, China zuerst mit Atomwaffen anzugreifen. Es braucht also nur ausreichend Atomwaffen, um einen US-amerikanischen Erstschlag zu überleben, und dann genügend verbliebene Atomwaffen zu haben, um eine Vergeltung gegen das US-Festland zu starten. Mittlerweile argumentieren viele chinesische Strategen jedoch, dass China seine Nuklearmacht aufbauen muss, weil die USA eine viel stärkere Feindseligkeit gegenüber China demonstrieren. Wenn man es analytisch betrachtet, ergibt das keinen Sinn. Denn egal wie feindselig der Gegner ist: Solange über eine sichere Zweitschlagfähigkeit verfügt wird, kann er davon abgehalten, zuerst Atomwaffen einzusetzen. Kommentar: Tong Zhao versucht in seinen Antworten den Eindruck zu vermitteln, dass Xi Jinping diktatorischen Eigenschaften hat: „Er kam zur Macht – er befahl dem Militär“. Er bleibt den Nachweiß aber schuldig. Zur Nuklearpolitik/Strategie hat die CND eine klare Haltung, die deutlich defensiver ist, als Tong Zhao mit der Andeutung von nicht benannten chinesischer Strategen unterstellt:
Tong Zhao klang in seinem Artikel für das Bulletin of the Atomic Scientists am 2.1.2019 ( 6 ) noch deutlich anders (eigene Übersetzung):
Frage: „Inwieweit sollte das die USA beunruhigen?“ Antwort: „Die Vereinigten Staaten machen sich nicht unbedingt Sorgen, dass China Atomwaffen in einem militärischen Konflikt zuerst einsetzen wird. Aber sie sorgen sich um die Ungewissheit dahinter, warum Chinas Militär seine Nuklearstreitkräfte aufbaut: Einige Kritiker argumentieren, dass China in Zukunft seine traditionell bescheidene Nuklearhaltung ändern und sein Arsenal zunehmend als Mittel von Druckausübung statt Abschreckung einsetzen könnte.“ Kommentar: Im jährlichen Bericht von 2020 des amerikanischen Verteidigungsministerium an den Kongress steht (im Original Seite ix) (eigene Übersetzung) ( 7 ):
LOW bedeutet eigene Raketen zu starten, wenn der Gegner welche startet. Das ist auch nach Analyse der Amerikaner eine Defensivhaltung, die zwar zu schnellerer Reaktion führt, als wenn man darauf wartet, dass gegnerischen Raketen einschlagen, es ist aber nicht die von Tong Zhao behauptete Drohung mit dem Einsatz von Atomwaffen. Ein Vergleich der nuklearen Sprengköpfe 2021 fällt auch deutlich aus: Russland 6255, USA 5550, China 350, Frankreich 290, GB 225. ( 8 ) Aber Tong Zhao führt weitere „Beweise“ für die Aggressivität Chinas auf: Die ehemalige Minsk in Shenzen als Vergnügungspark. Sie war ein Vorläufer des, in der Ausführung ähnlichen, ersten chinesischen Flugzeugträgers Liaoning (ex rus Warjag) Foto I.K.
Frage: Um die Perspektive zu wahren: Die USA haben nach wie vor etwa zwölfmal so viele Atomsprengköpfe wie China. In anderen Bereichen hingegen, zum Beispiel bei den Seestreitkräften, holt China rasant auf. Antwort: Schaut man sich die Zahl der Militärschiffe an, hat China bereits eine größere Zahl als die US-Marine. Aber rein qualitativ besitzen die USA noch immer die deutlich modernste Marinetechnologien. China holt allerdings sehr, sehr schnell auf. Und die künftigen Entwicklungen sind aus US-Sicht wirklich besorgniserregend. Der derzeitige US-Militärhaushalt wird wohl auf absehbare Zeit stagnieren, nicht zuletzt gebremst durch die vielen Checks und Balances. China hingegen ist bereit, mehr Ressourcen zu investieren, auch weil die chinesische Öffentlichkeit die Rüstungsindustrie als Kerninteresse der Nation wahrnimmt. Sie ist vor öffentlicher Kontrolle weitgehend sicher. Kommentar: Auch hier hilft ein Blick auf die realen Zahlen ( 9 ):
Chinesische Flugzeugträger sind von Schlagkraft und Größe keine Konkurrenz für die US Träger. Bei den chinesischen Kreuzern und Zerstörern kann man nicht die gleich Trennschärfe anlegen wie bei den US-Schiffen, man könnte sie zusammen zählen. Aber auch dann ergibt sich nur ein Bild, das starke chinesische Küstenverteidigung zeigt (allenfalls wäre eine Invasion Taiwans möglich), aber Hochseeflotten, die man als Machprojektion einsetzen kann, wie es die USA regelmäßig tun, finden sich nicht. Das ändert sich auch nicht durch die unterstellte Stagnation der USA beim Kriegsschiffbau. Frage: Und was passiert, wenn China dieses Ziel (das chinesische Militär überholt die USA als Nummer 1) erreicht hat? Antwort: Dann wird Chinas militärische Überlegenheit die USA und ihre Verbündeten de facto davon abhalten, einzugreifen, wenn China seine nationalen Interessen durchsetzt. Nehmen wir das Beispiel Taiwan: Die Forderung nach nationaler Vereinigung mit Taiwan ist ein wichtiges Ziel der aktuellen politischen Führung. Ich glaube jedoch nicht, dass man einen verfrühten Konflikt anzetteln möchte. Solange nach wie vor Zweifel bestehen, ob die USA intervenieren können, ist Chinas Militär noch nicht stark genug. Wenn China jedoch eine offensichtliche militärische Überlegenheit erlangt hat, werden die USA wissen, dass sie diesen Konflikt nicht gewinnen können. Zu diesem Zeitpunkt kann China sein Ziel erreichen, ohne einen Schuss abzufeuern. Und die jüngsten Entwicklungen haben Chinas Denken bestätigt: Da es bereits eine gewisse militärische Macht gesichert hat, brauchte es sich keine Sorgen vor einem gewaltsamen Eingriff aus dem Ausland zu machen, als es Maßnahmen zur Bewältigung der Situation in Hongkong ergriff. Kommentar: Auch hier klingt die Haltung der CND deutlich defensiver als unterstellt:
Frage: Welchen Weg wird China (stattdessen) im Umgang mit dem Westen wählen? Antwort: Der Trend ist besorgniserregend: China hält es für nutzlos, mit dem Westen zu reden und im Dialog zu überzeugen. Vielmehr ist die Staatsführung davon überzeugt, dass sie die Meinung der westlichen Länder nur dadurch ändern kann, indem sie ihre Macht aufbaut. Denn Macht ist das Einzige, was der Westen respektiert. Dies bedeutet auch, dass es keinen innerchinesischen Konsens über Abrüstungskontrollen gibt, die Chinas militärische Entwicklung beschränken würden. Kommentar: Was würde die CND antworten?:
Dadurch, dass im Interview für die Linken positiven Reizworte gesetzt werden (Abrüstungskontrolle …) wirkt der Artikel fortschrittlich, während er aus meiner Sicht nichts mit chinesischen Positionen zu tun hat, sondern lediglich die Interessen der CIA an der Verschärfung des US-Konflikts mit China verfolgt und die westdeutsche Linke auf seine Seite ziehen will. Ingo Krohn, 24. September 2021
1 https://www.nd-aktuell.de/artikel/1154028.china-und-der-westen-china-haelt-es-fuer-nutzlos-mit-dem-westen-zu-reden.html 2 Taz 6.7.21; Pressreader Luxemburg 6.7.21; Die Rheinlandpfalz 7.7.21; Die Presse 29.7.21; The World News Austria 29.7.21; sowie als Hinweis in mehreren Nachrichtenportalen 3 The State Council Information Office of the People's Republic of China. China's National Defense in the New Era – Chinas Landesverteidigung in der neuen A¨ra, Full Text, erschienen bei Xinhua | English.news.cn. Beijing: Foreign Languages Press, 2019. http://www.xinhuanet.com/english/2019-07/24/c_138253389.htm . 4 Ranking der 15 Länder mit den weltweit höchsten Militärausgaben im Jahr 2020 https://de.statista.com/statistik/daten/studie/157935/umfrage/laender-mit-den-hoechsten-militaerausgaben/ 5 IWF Prognose: Top 10 Länder mit dem größten kaufkraftbereinigten Bruttoinlandsprodukt (BIP) in den Jahren 2020 bis 2026 https://de.statista.com/statistik/daten/studie/981785/umfrage/ranking-der-laender-mit-dem-groessten-kaufkraftbereinigten-bruttoinlandsprodukt-in-der-zukunft/ 6 Tong Zhao (2019), What the United States can do to stabilize its nuclear relationship with China, Bulletin of the Atomic Scientists, 75:1, 19-24, DOI: 10.1080/00963402.2019.1555992 7 https://media.defense.gov/2020/Sep/01/2002488689/-1/-1/1/2020-DOD-CHINA-MILITARY-POWER-REPORT-FINAL.PDF 8 https://de.statista.com/statistik/daten/studie/36401/umfrage/anzahl-der-atomsprengkoepfe-weltweit/ 9 https://www.globalsecurity.org/military/world/china/navy.htm , und https://de.wikipedia.org/wiki/United_States_Navy und https://de.wikipedia.org/wiki/Liste_der_Fregatten_der_United_States_Navy
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