Neues aus China – Teil 2

Kampf der Korruption

Korruption ist das große Thema in China – aber natürlich nicht nur dort. In China haben davon auch ausländische Firmen profitiert und sich damit gut abgefunden. Viele westliche Beobachter haben die Korruption schon für unabänderlich gehalten und das Ende der KP Chinas prophezeit. Jetzt hören wir aber plötzlich etwas ganz Anderes. China kann erste Erfolge im Kampf an der Korruptionsfront verbuchen. Es lässt sich nicht übersehen: In China werden die Karten neu gemischt. Und manche fühlen sich schon an die Anfänge der Kulturrevolution erinnert. Wir beziehen uns im Folgenden auf den Artikel von Petra Kolonko in der FAZ vom 8. September 2014, „Tocqueville und der Verfall der Sitten“ (Untertitel: Chinas oberster Korruptionsbekämpfer Wang Qishan lehrt die roten Prinzen das Fürchten).

Druckversion

Als vor nicht ganz zwei Jahren Wang Qishan als Mitglied des neuen Politbüros auch Leiter der Disziplinarkommission der KP Chinas wurde und der neue Parteichef Xi Jinping dem Kampf gegen die weit verbreitete Korruption in China oberste Priorität einräumte, war das westliche Medienecho wohl überwiegend sehr skeptisch. Bisherige Versuche waren nicht sehr erfolgreich und der resolute Wille zur Beseitigung der Korruption wurde auch in Frage gestellt.

Aber ein Signal ließ aufhorchen. Wang Qishan hatte den Kommunisten Chinas die Lektüre von Alexis de Tocquevilles Klassiker „Der alte Staat und die Revolution“ empfohlen, in dem geschildert wird, wie die gesellschaftlichen Zustände im Ancien Regime unaufhaltsam zur Französischen Revolution führten. Es sollte die letzte Warnung für alle korrupten Parteimitglieder sein. Auch der Hinweis Xi Jinpings, dass „sowohl Fliegen als auch Tiger“ verfolgt würden, war eine deutliche Kampfansage.

Alexis de Tocqueville - Karikatur von Daumier 1849 Abbildung: Wikipedia Quelle: National Gallery of Art

Jetzt fast zwei Jahre später hat die Kampagne alle Erwartungen übertroffen. Der bisher größte Tiger, das ehemalige Politbüromitglied Zhou Yongkang, wird seit einem Jahr verhört. Gute zwanzigtausend Kader hatten Konsequenzen zu tragen, darunter über dreißig im Ministerrang. Langjährige Haftstrafen waren keine Ausnahmen. Dieses harte Vorgehen kommt offensichtlich bei vielen Kadern schlecht, aber beim Volk gut an.

Wie hat das alles angefangen? „Es begann mit einer Kampagne gegen Verschwendung und luxuriösen Lebensstil unter Parteifunktionären. Es sollte keine großen Bankette mehr geben und keinen großen Bahnhof bei Besuchen. Keine teuren Geschenke mehr zu den Feiertagen und keine Mitgliedschaften in teuren privaten Clubs. Ferien auf Staatskosten wurden verboten und Auslandsreisen reduziert. Die Zahl der Dienstwagen wurde drastisch gesenkt.“

Da war wohl einiges in Unordnung in China, aber jetzt geht es offensichtlich ans Eingemachte. Und Wang Qishan „hat sich in seiner langen Partiekarriere […] einen Ruf als ‚Krisenmanager‘ erworben, der hart durchgreifen kann und Auseinandersetzungen nicht scheut.“ 2003 hat er für mehr Offenheit und Effektivität bei der Bekämpfung der Lungenkrankheit SARS gesorgt und bekam dafür auch Lob von der WHO. Bis 2007 hat er sich dann auch als stellvertretender Bürgermeister von Beijing bei der Vorbereitung der Olympischen Spiele 2008 engagiert. Wang erhält viel Lob von Petra Kolonko. Sie verweist auf seinen bescheidenen Lebensstil und dass er „für die Rückkehr zu den Idealen des einfachen Lebens der früheren Revolutionsführer“ eintrete. „Seine Frau, die Tochter des früheren stellvertretenden Ministerpräsidenten Yao Yilin, unterstütze ihn dabei, heißt es.“ Was wir nicht von Petra Kolonko erfahren, aber vielleicht wichtig ist, um das politische Milieu der Korruptionsbekämpfer zu erfassen, sind einige Informationen zu Yao Yilin. Er war eng verbunden mit Chen Yun, einem der fünf (außer Chen Yun noch Zhou Enlai, Deng Xiaoping, Liu Shaoqi und Zhu De) im Mausoleum in Beijing neben Mao geehrten Revolutionsführer. Und er unterstützte im Politbüro 1989 den Militäreinsatz gegen die Demonstranten auf dem Platz des Himmlischen Friedens und war einer der schärfsten Kritiker des später unter Hausarrest gestellten damaligen Parteichefs Zhao Ziyang. Es ist anzunehmen, dass der Kampf gegen die Korruption in den an der revolutionären Tradition orientierten KP-Mitgliedern und –Führern die stärksten Unterstützer hat. Allerdings sind auch diese Kreise nicht gegen Korruption gefeit, wie die Fälle Zhou Yongkang und Bo Xilai zeigen. Aber die stärkere Hervorhebung der Verdienste Maos durch Xi Jinping hat wohl auch mit der Notwendigkeit zu tun, Bündnispartner zu finden.

Wangs Vorgehen gegen die Korruption wird von Petra Kolonko auch als „willkürlich und nicht transparent“ kritisiert. Und im Nachsatz: „Das Disziplinarsystem steht außerhalb des Justizsystems.“ Das sieht ja fast so aus, als würde Frau Kolonko das sonst so gescholtene Justizsystem Chinas in Schutz nehmen. Und sie erklärt uns auch, was außerhalb des Justizsystems so alles möglich ist: „Wenn Funktionäre im Gewahrsam der Disziplinarkommission sind, haben sie keinen Zugang zu Anwälten oder Rechtshilfen. Folter und erpresste Geständnisse in der Parteihaft sind bekanntgeworden.“ Man könnte von diesen Formulierungen ableiten, dass dies innerhalb des Justizsystems so nicht einfach möglich ist. Und neuere Berichte scheinen auch zumindest zu belegen, dass die Unabhängigkeit dieses Systems von direkten Parteieingriffen wächst. So hat in Shenzhen ein Gericht die Klage eines Chinesen gegen China Unicom wegen der Sperrung von Googleseiten angenommen. Auch wenn er mit der Klage nicht durchkommt, ist allein die Tatsache, dass der Prozess stattfinden, in den Medien diskutiert werden und der Kläger seine Position auf dem chinesischen Kurznachrichtendienst Weibo darstellen konnte, schon eine kleine Sensation (vgl. Hendrik Ankenbrand: Der Chinese, der endlich wieder googeln will. In: FAZ v. 11.9.2014).

Auf jeden Fall will Wang Qishan nicht beim bisherigen Vorgehen stehen bleiben. Ein Vorbild könnte nicht weit vor der eigenen Haustür liegen: „Bei einem Treffen mit Funktionären in Peking sagte er jetzt, dass er die Anti-Korruptions-Kommissionen in Hongkong und Singapur als gutes Modell betrachte.“

Und dann wird er mit einigen Worten zitiert, die klarstellen, dass das Ende der Kampagne noch lange nicht in Sicht ist. „Derzeit wagten die Kader nicht, korrupt zu sein, sagte Wang Qishan. Der nächste Schritt sei, sicherzustellen, dass sie nicht korrupt sein könnten. Und letztlich gehe es darum, dass sie nicht einmal mehr wagten, an korruptes Verhalten auch nur zu denken.“ Da können wir nur hoffen, dass es diesmal gelingt, die Korruption zu besiegen.

P.S.: Als ich 2007 in der Augsburger Partnerstadt Jinan ein längeres Gespräch mit dem dortigen - und inzwischen verstorbenen - katholischen Bischof Jakob Zhao Ziping hatte, meinte er noch, dass alle Kampagnen nutzlos seien und man noch so viele erschießen könne, es gebe nur ein Gruppe, die gegen Korruption gefeit sei. Und dann nannte er zu meiner Überraschung diese erlauchte Gruppe beim Namen: die katholischen Mitglieder der Kommunistischen Partei Chinas. Also auch zur Religionsfreiheit in China würde es einiges zu sagen geben.

Hansjörg Bisle-Müller, 25.09.2014

Druckversion


   
nach oben