Der Landesparteitag der bayerischen Linken in Kissing am 28./29. Juni

Talsohle durchschritten?

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Kaum ein Parteitag konnte für Die Linke Bayerns verheerender gewesen sein als der Parteitag vom Dezember 2010 in Asbach-Bäumenheim nördlich von Augsburg. Damals inszenierten die Gegner des Bundesvorsitzenden Klaus Ernst erfolglos einen großen Eklat, um den Parteitag platzen zu lassen.

Dreieinhalb Jahre später auf dem Kissinger Parteitag im Süden Augsburgs gab es nicht mehr den großen Konflikt um den Landesvorstand. Eva Bulling-Schröter wurde mit 85 Prozent als Landessprecherin bestätigt. Xaver Merk, der im Dezember 2010 mit mageren 56 Prozent zum Landesvorsitzenden gewählt wurde, kam diesmal auf satte 72 Prozent.[1]

Die Stabilisierung in der Führungsriege hatte aber nur wenig positive Auswirkungen auf die Wahlergebnisse. Während in der Landtagswahl 2008 die Linke noch auf 4,4 Prozent Wähleranteil kam und den Sprung in den Landtag nur knapp verfehlt hat, erreichte fünf Jahre später Die Linke nur noch 2,1 Prozent. Die Linke Bayerns hat ihren Wähleranteil also mehr als halbiert.

Paartalhalle in Kissing bei Augsburg. Zwar begrüßte der Bürgermeister von Kissing, Manfred Wolf (SPD), die Delegierten, aber die Medienresonanz war sehr mager. Im Wesentlichen gab es ein paar Minuten bei augsburg-tv und die Augsburger Allgemeine berichtete, aber nur in der Friedberger Ausgabe. In Bayern gab es sonst kaum ein Echo und das dürfte auch so bleiben, solange man der Partei nicht zutraut, in den Landtag einzuziehen, und die Partei selbst dazu auch keine Konzeption hat.

Auch bei der Mitgliederzahl ist ein Rückgang zu vermelden. Die Partei ist um ein Drittel geschrumpft: von 3300 im Jahr 2010 auf nunmehr 2612 Mitglieder. Wobei immer noch über 20 Prozent beitragssäumig sind, wie der Landesschatzmeister Hermann Ruttmann in seinem Rechenschaftsbericht klagte. Im Leitantrag des Landesvorstandes stand daher:

„Die Gewinnung neuer Mitglieder und ihre Integration in die Partei sind eine vorrangige Aufgabe. Die unverantwortlich hohe Fluktuation muss eingedämmt werden.“

Während in der Führungsriege des Landesverbandes weitgehend Einigkeit besteht, gibt es in den Kreisverbänden immer noch zu viel destruktiven und zu wenig konstruktiven Streit, der alle Fraktionen politisch weiter bringen könnte. Manche Delegierte wie die aus Aschaffenburg und Würzburg fielen sich auf dem Parteitag gegenseitig ins Wort. Die wenigsten im Publikum konnten nachvollziehen, worum es eigentlich ging.

In einer schweren und vielleicht auch exemplarischen Krise sind die GenossInnen in der Landeshauptstadt. Die Münchener Linke hat in der Kommunalwahl ihren dritten Sitz im Stadtrat verloren. Zu dieser Niederlage hat auch die Tatsache beigetragen, dass wenige Wochen vor der Wahl die Stadträtin Dagmar Henn aus der Partei ausgetreten ist und Stadtrat Orhan Akman seiner Partei in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung vorgeworfen hat, dass sie in München keine konkrete Kommunalpolitik betreibe, sondern nur globale Probleme behandle und einem „Disneyland-Sozialismus“ huldige. Trotz der herben Wahlniederlage träumte aber die linke Stadträtin Brigitte Wolf weiterhin den Traum von einer rot-rot-grünen Mehrheit und einer Regierungsbeteiligung in München. Die SPD aber erteilte einer Koalition mit der Linken eine scharfe Absage mit dem Argument, dass Cetin Oraner, der zweite linke Stadtrat, ein DKP-Mitglied und bekennender Kommunist sei, mit dem man nicht zusammen arbeiten könne. Statt diese anikommunistische Attacke offensiv zu kritisieren, spielten die Münchener GenossInnen die DKP-Mitgliedschaft eher herunter.

Der neu gewählte Landesvorstand. Vierte von links ist die uns unbekannte Verena Sprenger (16 Jahre) aus Augsburg, die als jugendpolitische Sprecherin im Vorstand vertreten ist, wohl in Nachfolge von Bezirksrat Frederik Hintermayer, ebenfalls aus Augsburg, der nicht mehr antrat. Neu aus Augsburg ist zusätzlich Tim Lubecki, dritter von rechts. Er ist hauptamtlicher Gewerkschafter (wie Xaver Merk NGG-Geschäftsführer in Schwaben) und Mitglied des Augsburger Kreisvorstands. Auf dem Werbeportal presse-augsburg.de kommt er ziemlich groß raus, auch auf Facebook wird er gefeiert.

Viele Kreisverbände, die sich im Landesvorstand nicht angemessen repäsentiert sahen, sehnten sich zurück in eine idealisierte Basisdemokratie. So stellte der Kreisvorstand Aschaffenburg und Untermain im Namen der Basisdemokratie folgenden Antrag:

„In der Satzung des Landesverbandes Bayern wird anstelle des Begriffs ‚Landesparteitag‘ der Begriff ‚Landesmitgliederversammlung‘ wieder eingeführt.“

In die gleiche Kerbe schlugen gleich mit mehreren ähnlich lautenden Anträgen die Kreisverbände Allgäu-Memmingen-Unterallgäu, Kaufbeuren-Ostallgäu und Kempten-Oberallgäu. Die Begründung für diese Anträge lautet immer gleich:

„Das Delegiertenprinzip führt zu Verstümmelungen der Demokratie durch Selektion, Bevormundung und Obrigkeitsunterwürfigkeit. An einer Mitgliederversammlung können nur die tatsächlich existierenden Mitglieder teilnehmen. Verzerrungen durch Karteileichen, Phantommitglieder oder Delegiertenberechnungsverfahren entfallen somit.“

Ob die GenossInnen mit solchen Anträgen aber die Einmischung möglichst vieler Menschen in die Politik fördern, ist mehr als fraglich. Sie errreichen damit vielleicht noch mehr „Verstümmelungen der Demokratie“. Würden nämlich diese Anträge beschlossen, dann wäre die Entscheidung über den Ort der „Landesmitgliederversammlung“ ein ständiger Streitpunkt, weil familiär oder beruflich gebundene Parteimitglieder zwar in ihrem Kreisverband mitentscheiden können, aber linker Politik zuliebe nicht so oft weite Fahrten auf sich nehmen und ein ganzes Wochenende opfern können. Nicht die gesamte Basis, sondern nur ein besonders mobiler und aktivistischer Teil der Basis würde entscheiden.

Parteientwicklung mit einem Leitantrag für bezahlbaren Wohnraum und gegen Rüstungsgüter?

Stehende Ovationen bekam der Bundesvorsitzende Bernd Riexinger für die Rede, in der er den Leitantrag des Landesvorstandes begründete.[2] Viele Delegierte hofften anscheinend, dass der Leitantrag die Partei aus ihrer wechselseitigen Lähmung herausbringen und die Mitglieder aktivieren kann.

Von links: Xaver Merk, wiedergewählt, Landessprecher seit 2010, Kreisvorsitzender Günzburg/Neu-Ulm, Geschäftsführer der Gewerkschaft NGG Region Ulm seit 2002; Bernd Riexinger, Parteivorsitzender seit 2012 (zusammen mit Katja Kipping); Eva Bulling-Schröter, wiedergewählt, Landessprecherin seit 2000, MdB seit 1994 (mit einer Unterbrechung zwischen 2002 und 2005); Klaus Ernst, MdB seit 2005, seit 2013 stellv. Fraktionsvorsitzender, 2007–2010 stellv. Parteivorsitzender, 2010–2012 Parteivorsitzender neben Gesine Lötzsch; im Hintergrund rechts im Präsidium Otto Hutter, bis vor kurzem Sprecher KV Augsburg, seit April 2014 Stadtrat in Augsburg. Fotos: Landesgeschäftsstelle Die Linke Bayern, Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, Autor: Dirk Eickels

Der Leitantrag bestand aus zwei Teilen: Teil I hatte zum Thema „Prekäre Lebensweisen in einem reichen Land – für ein friedliches, ein schönes Bayern für alle“. Teil II war das „Projekt Parteientwicklung im Landesverband DIE LINKE Bayern.“

Die prekären Lebensweisen würden sich in zwei Bereichen zeigen: Es gehe um „guten und bezahlbaren Wohnraum für alle Menschen in Bayern“ und es gehe darum, dass in Bayern „jede Menge Rüstungsgüter produziert und in alle Welt exportiert“ werden.

Dem Leitantrag zu den Projekten Wohnen, Frieden und Parteientwicklung liegt zwar keine besonders tiefschürfende Anlayse zugrunde, aber er kann vielleicht die Mitglieder mobilisieren, weil er konkrete Maßnahmen vorschlägt und klärt, wer was wann tun soll. Dass allerdings die Begeisterung für die Projekte in nachhaltiges Engagement umschlägt, kann man nur hoffen.

Ein gravierendes Problem der bayerischen Linken wurde allerdings weder gesehen noch angesprochen. Obwohl Bernd Riexinger und Xaver Merk in den Medien immer dem „Gewerkschaftsflügel“ zugerechnet werden, spielten im Leitantrag die bayerischen DGB-Gewerkschaften keine Rolle. Dass die Gewerkschaften gegen die zunehmende Prekarisierung auch in ihrem eigenen Interesse einen wichtigen Beitrag leisten müssten und daher Die Linke und die Gewerkschaften eine „natürliche Nähe“ hätten – so das IGM-Vorstandsmitglied Hans-Jürgen Urban am 10. Mai auf dem Parteitag der Linken in Berlin –, ist kein Thema für den Landesvorstand. Eine linke Gewerkschaftspolitik findet in Bayern nicht statt. Weder der Landesvorstand noch die Kreisverbände interessieren sich ernsthaft dafür.

Wolfgang Walter, 8.7.2014

1] s. die kompletten Wahlergebnisse „Landesvorstand DIE LINKE. Landesverband Bayern, Mitglieder und Wahlergebnisse auf dem 8. Landesparteitag in Kissing“, 29-Juni-2014. [Online]. Verfügbar unter: http://www.die-linke-bayern.de/partei/strukturen/landesvorstand/mitglieder/. [Zugegriffen: 11-Juli-2014].

s. a. die politischen Vorstellungen der Bewerber: [1]„DIE LINKE. Landesverband Bayern: Kandidaturen zur Vorstandswahl, Landesparteitag in Kissing“, 29-Juni-2014. [Online]. Verfügbar unter: http://www.die-linke-bayern.de/partei/parteitage/8_landesparteitag/kandidaturen/. [Zugegriffen: 11-Juli-2014].

Was auffällt: München, Oberbayern und Niederbayern fallen fast ganz raus aus dem Vorstand, aus der Geschäftsführung komplett! Das kommt einer faktischen Spaltung des Landesverbandes gleich

2] „Beschluss des Leitantrags, Landesparteitag Die Linke, 28. / 29. Juli 2014 in Kissing“, 29-Juni-2014. [Online]. Verfügbar unter: http://www.die-linke-bayern.de/uploads/media/14-06-29_Beschluss_Leitantrag.pdf. [Zugegriffen: 11-Juli-2014]

Riexinger erläuterte in seiner Rede vor allem das zentrale Papier, das die beiden Parteivorsitzenden im Dezember zur Debatte gestellt haben: „Verankern, verbreiten, verbinden: Projekt Parteientwicklung. Eine strategische Orientierung für DIE LINKE, DIE LINKE. Bernd Riexinger: Debatte“, 09-Dez-2013. [Online]. Verfügbar unter: http://www.bernd-riexinger.de/aktuell/debatte/. [Zugegriffen: 12-Juli-2014].


   
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