EU-Wahlen, Teil 2

Gründe, zur Wahl zu gehen

Eine kleine Auswahl

 

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Hier eine kleine Auswahl von Gründen, warum man bei den Europawahlen in Deutschland am 25. Mai zur Wahl gehen könnte, sollte, müsste. Da gibt es zum einen den Aufruf der Internationalen Föderation der Widerstandskämpfer (FIR) – Bund der Antifaschisten zur Europawahl. Der FIR geht es zum einen darum, im europäischen Parlament die Stimmen zu stärken, die sich für eine demokratische, friedensorientierte, solidarische und sozial gerechte Entwicklung Europas einsetzen. Zum anderen geht es ihr darum, jeder Form rassistischer Diskriminierung oder Fremdenfeindlichkeit entgegenzutreten und rassistische und extrem rechte Kräfte engagiert zu bekämpfen.

Sodann wollen wir „Fünf gute Gründe, zur Europawahl zu gehen“ von Patrick Schreiner, einem Gewerkschafter und Publizisten aus Hannover, vorstellen. Er legt dar, dass nur das Europaparlament den Marktradikalen im Europäischen Rat und der Europäischen Kommission von innen heraus etwas entgegensetzen könne. Dafür gebe es auch Beispiele. So sei zum Beispiel bei der Umsetzung der Dienstleistungsrichtlinie vom Parlament das Schlimmste verhindert worden. Auch habe das Parlament die Finanztransaktionssteuer auf die Tagesordnung gesetzt und das ACTA-Abkommen verhindert. Patrick Schreiner stützt sich dabei auch auf Positionen der Arbeiterkammern Österreichs und des ÖGB „Europa in unsere Hände nehmen!“[1] . Ganz ähnlich zum Beispiel auch bei ver.di: „Wähl dir ein besseres Europa. Du hast die Wahl!“[2] Im Focus dieser gewerkschaftlichen und sozialen Strömungen steht die Agitation gegen das transatlantische Freihandelsabkommen zwischen USA und Europa TTIP.

Schließlich geht es auch um die antimilitaristischen Position. Die Militärmacht Europa ist im Kommen, die europäische Linke schwankt leider in dieser Frage. Dies betrifft auch auf die deutsche Linkspartei zu. Umso wichtiger wäre es, eine dezidiert linke Antimilitaristin wie Sabine Lösing, die auf einem aussichtsreichen Listenplatz der Linken für das Europaparlament kandidiert, mit der Wahl zu unterstützen. Wir dokumentieren einen ausgezeichneten Beitrag von Sabine Lösing in der neuesten Ausgabe der Zeitschrift RotFuchs „EUropa – Friedensmacht oder Kriegsprojekt?“


Aufruf der FIR: „Wählt Antifaschisten ins Europäische Parlament!“

Der Aufruf der FIR „Wählt Antifaschisten ins Europäische Parlament!“, den wir nachstehend veröffentlichen, stammt vom 8. Februar 2014. Die Internationale Föderation der Widerstandskämpfer (FIR) – Bund der Antifaschisten ist die Dachvereinigung von Organisationen ehemaliger Widerstandskämpfer, Partisanen, Angehörigen der Anti-Hitler-Koalition, Verfolgten des Naziregimes und Antifaschisten heutiger Generationen aus über zwanzig Ländern Europas und Israels. Der Vorsitzende der FIR, Vilmos Hanti, ist auch Vorsitzender des “Bundes der ungarischen Widerstandskämpfer und Antifaschisten” (MEASZ) Er wurde vor zwei Jahren in aller Öffentlichkeit von ungarischen Rechtsradikalen verletzt.

In einem Gespräch mit der Redaktion der antifa, dem Magazin der Deutschen VVN-BDA[3] , sagte er vor kurzem:

antifa: Die rechtpopulistische FIDESZ-Partei hat mit Hilfe eines veränderten Wahlrechts auch bei der jüngsten ungarischen Parlamentswahl eine Zweidrittel-Mehrheit erreicht. Wie schätzen die ungarischen Antifaschisten das Ergebnis ein?

Vilmos Hanti: Zuerst einmal muss man betonen, dass FIDESZ gegenüber der vergangenen Wahl tatsächlich deutlich an Stimmen verloren hat. Viele Wähler sind enttäuscht und den Wahlurnen fern geblieben. Dass die Regierungsparteien dennoch erneut eine Zweidrittelmehrheit bekamen, lag daran, dass die Wahlgesetze von FIDESZ so verändert wurden, dass sie für FIDESZ Vorteile sicherten. Man hat z. B. die Wahlkreise verändert und ermöglichte auch der ungarischen Minderheit im Ausland eine Wahlbeteiligung. Wir ungarische Antifaschisten sind der Meinung, dass Ungarn in Richtung Nazismus tendiert, und zwar in Zusammenarbeit von JOBBIK und der Regierungskoalition (FIDESZ und Christdemokraten). FIDESZ und Co. treten dabei selbst noch nicht als extrem-rechte Bewegung auf, aber ihre Politik geht in die rechte Richtung, ein Zeichen des gnadenlosen Machthungers von Viktor Orbán. Er ist ein solcher Populist, dass er jede Ideologie, die aktuell die Massen anspricht, vertreten kann. Seine Politik bereitet den Boden für die extreme Rechte. Gleichzeitig sind in seiner Umgebung mehrere Leute, die offen extrem rechte Ideologien vertreten. Wir können uns freuen, dass noch Kräfte der Demokratie in Ungarn existieren, doch wenn es so weitergeht, werden diese Kräfte morgen nicht mehr da sein. …

antifa: Ende Mai 2014 werden auch in Ungarn Abgeordnete für das Europäische Parlament gewählt. Haben die Ergebnisse der Parlamentswahlen Signalwirkung für die Europawahl?

Vilmos Hanti: FIDESZ und JOBBIK sind erklärte Feinde von Europa. Obwohl Viktor Orbán bereits die EU-Ratspräsidentschaft inne hatte, grenzt er sich von europäischen Normen und Werten ab. JOBBIK mobilisiert nationalistische Wähler, die sich von Europa verraten fühlen und sich gegen Europa stellen. Für beide Parteien ist es daher schwierig, ihre Anhänger für eine Wahl zu mobilisieren, in der es um die Zukunft Europas geht. Die FIR hat einen Aufruf publiziert: »Antifaschisten ins Europa-Parlament !« MEASZ hat verschiedene Parteien angesprochen, diesen Appell zu unterstützen, und tatsächlich haben Kandidaten mehrerer Parteien den Aufruf unterschrieben. Ich hoffe diesmal auf bessere Wahlergebnisse für die Antifaschisten, weil die Rahmenbedingungen der EP-Wahlen nicht von unserer Regierung festgelegt wurden. Wir wollen unsere antifaschistischen Positionen in diesem Wahlkampf verstärken. Wir unterstützen alle Kandidaten verschiedener Parteien, die mit unseren Ideen und Zielen übereinstimmen.[4]

Hier nun der Aufruf der FIR:

Aufruf der FIR zur Europawahl

Im Mai 2014 finden die Wahlen zum Europäischen Parlament statt. Für die Veteranen des antifaschistischen Kampfes und für Antifaschisten heutiger Generationen sind diese Wahlen aus zwei Gründen von Bedeutung:

Die gegenwärtige Politik und Entwicklung der Europäischen Union entspricht nicht den Interessen großer Teile der Menschen in den europäischen Ländern. Zahlreiche Entscheidungen führen zu massiver sozialer Ausgrenzung, gehen zu Lasten der Schwächsten der jeweiligen Länder. Daher müssen im Europäischen Parlament die Stimmen gestärkt werden, die sich für eine demokratische, friedensorientierte, solidarische und sozial gerechte Entwicklung Europas einsetzen.

Zweitens treten in verschiedenen europäischen Ländern rassistische und extrem rechte Kräfte zu den Wahlen an, denen im Wahlkampf und im Parlament aktiv und engagiert entgegengetreten werden muss.

Wir rufen daher dazu auf, bei der Europawahl in allen Ländern solche Frauen und Männer zu wählten, die sich einsetzen für ein Europa,

das jeder Form der rassistischen Diskriminierung oder der Fremdenfeindlichkeit entgegentritt,

das sich für Flüchtlinge einsetzt und ihnen eine menschenwürdige Behandlung garantiert,

das sich gegen jegliche Form von Holocaustleugnung, Geschichtsrevision und Rehabilitierung von SS-Verbrechern einsetzt,

das eine soziale Politik gewährleistet, durch die allen Menschen Arbeit, Bildung, Ernährung und eine angemessene Wohnung garantiert wird,

das für eine Friedenspolitik eintritt, die nicht auf Hegemonie, sondern auf nicht-militärische Konfliktlösungen beruht,

das eine Gemeinschaft im Interesse der Menschen darstellt und nicht der Herrschaft von Banken und Wirtschaftsverbänden,

das für vergleichbare Lebensbedingungen in allen Ländern eintritt und gegen erzwungene Arbeitsmigration,

das eine Gleichberechtigung zwischen den Völkern und Nationen garantiert und keine Hegemionialpolitik.

Ein solches Europa ist möglich, wenn sich die Völker aktiv und vernehmbar für ihre Interessen einsetzen.[5]

Bis Anfang Mai haben 36 Kandidaten aus sechs Parteien in vier Ländern diesen Appell unterzeichnet.[6] Darunter sind auch eine Reihe von Kandidat_innen der Linken und der DKP, auch die jeweiligen Spitzenkandidat_innen. Auch Jennifer Michelle Rath aus Gersthofen, die für die Linke kandidiert, hat den Aufruf unterzeichnet.


„Fünf gute Gründe, zur Europawahl zu gehen“

Auf seinem Blog annotazioni.de benennt Patrick Schreiner

Fünf gute Gründe, zur Europawahl zu gehen „Fünf gute Gründe, zur Europawahl zu gehen“.[7] Wir wollen Ihr drei davon zitieren:

„Fünf gute Gründe, zur Europawahl zu gehen“

Patrick Schreiner, 21. Mai 2014

Der Europawahlkampf verläuft schleppend, trotz gesteigertem Interesse am EU-US-Freihandelsabkommen, trotz Spitzenkandidaten der Parteien und trotz Verelendung immer weiterer Teile des Kontinents. Europa, so scheint es, zieht einfach nicht. Und doch gibt es (mindestens fünf) gute Gründe, am Sonntag zur Wahl zu gehen.

1. Nur das Europaparlament kann den Marktradikalen in Rat und Kommission von innen heraus etwas entgegensetzen

Auch wenn seine Handlungsmöglichkeiten beschränkter sind als die einzelstaatlicher Parlamente: Das Europaparlament hat immer wieder bewiesen, dass es sich gegen die europäischen Staats- und Regierungschefs und die EU-Kommission durchzusetzen vermag. Einige Beispiele: Es hat ein Aufweichen der Arbeitszeitrichtlinie verhindert und damit in diesem Punkt die Rechte der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gewahrt. Es hat die schlimmsten marktradikalen Auswüchse bei der Umsetzung der Dienstleistungsrichtlinie verhindert. Das Europaparlament (und nicht Wolfgang Schäuble!) hat eine Finanztransaktionssteuer auf die europäische Tagesordnung gesetzt. Es hat das ACTA-Abkommen und damit einen massiven Abbau von Bürgerrechten verhindert.

Und während die EU-Kommission und der Europäische Rat zwar Lobbyisten mit offenen Armen empfangen, für fortschrittliche Organisationen aber meist so zugänglich wie ein zugemauertes Haus sind, konnte von fortschrittlicher Seite in vielen Fällen nur durch Druck auf Abgeordnete und das Parlament etwas erreicht werden.

2. Echte Veränderungen wird es nur mit anderen Mehrheiten geben

Dennoch lässt sich nicht bestreiten, dass das Europaparlament auch immer wieder und viel zu oft äußerst fragwürdige Entscheidungen getroffen hat – wie etwa seine Zustimmung zu den Verhandlungen über ein EU-US-Freihandelsabkommen. Auch bei der Durchsetzungsrichtlinie zur Entsenderichtlinie hat sich das Parlament jüngst nicht mit Ruhm bekleckert, sondern eine wirksame(re) Kontrolle der Arbeitsverhältnisse mobiler Beschäftigter verhindert. Das zeigt aber nur eines: Es braucht, neben politischem Druck zwischen den Wahlen, endlich auch andere Mehrheiten in Brüssel und Strasbourg. …

5. Die Europawahl ist eine Abstimmung (auch) über das EU-US-Freihandelsabkommen

Mit der derzeitigen Heftigkeit des Widerstands gegen ein EU-US-Freihandelsabkommen (TTIP) haben die beiden großen Parteien und die kleine FDP vermutlich nicht gerechnet. Nur Linke und Grüne lehnen das Abkommen konsequent ab, und das tun beide mit guten Gründen. CDU/CSU und FDP befürworten es nachdrücklich, die SPD steckt wie so oft in einer „Meckern, aber Mitmachen“-Position. Die Terminierung der Europawahl bietet die Chance, eben diese Wahl zu einem Referendum über TTIP zu machen. Wer sich in diesem Sinne das bisherige Abstimmungsverhalten von Parteien und Abgeordneten ansehen möchte, der kann dies hier tun:

  1. Abstimmung zum TTIP-Verhandlungsmandat, dem Auftrag an die EU-Kommission, überhaupt Verhandlungen aufzunehmen (Fraktionen, Abgeordnete)

  2. Abstimmung zum Antrag auf Veröffentlichung dieses TTIP-Verhandlungsmandats (Fraktionen, Abgeordnete)

  3. Abstimmung zum Antrag auf mehr Transparenz bei den TTIP-Verhandlungen (Fraktionen, Abgeordnete)


EUropa – Friedensmacht oder Kriegsprojekt?

Der Beitrag „EUropa – Friedensmacht oder Kriegsprojekt?“ wurde der Redaktion der Zeitschrift RotFuchs von Sabine Lösing angeboten und im RotFuchs-Extra der aktuellen Mai-Ausgabe veröffentlicht.[8] Wir drucken diese ausgezeichnete und lesenswerte Studie mit der freundlichen Genehmigung des Chefredakteurs Klaus Steiniger ab.

Wie wichtig die Stimme Sabine Lösings ist, wird noch deutlicher vor dem Hintergrund der beängstigenden Entwicklung in der Linkspartei und ihrer Europafraktion. Dazu sei aus einem Kommentar von Andreas Wehr in der jungen Welt vom Februar zitiert:

… jener Satz im Entwurf des Programms, der zwar Selbstverständliches wiedergab, SPD, Grüne und Medien aber wohl gerade deshalb maßlos empörte. Er lautete: »Spätestens seit dem Vertrag von Maastricht wurde die EU zu einer neoliberalen, militaristischen und weithin undemokratischen Macht, die nach 2008 eine der größten Krisen der letzten 100 Jahre mit verursachte.« Das wollte man nicht hören, und das hört man nun auch nicht mehr von der Linkspartei. Nachdem auch Fraktionschef Gysi in den Chor der Kritiker eingestimmt hatte, entfernte der Parteivorstand diesen Satz aus dem zuvor von ihm selbst geschriebenen Programm. So etwas nennt man Selbstzensur! Um die Sache noch schlimmer zu machen, strich man kurz vor dem Parteitag sogar die gesamte Präambel, enthielt sie doch noch immer zu viele kritische Aussagen, und ersetzte sie durch eine Fassung aus der Feder des Forums demokratischer Sozialismus, in der der neoliberale, undemokratische und militaristische Charakter der EU regelrecht verniedlicht wird. »Die EU hat ihr Ziel, Frieden – auch sozialen – zu schaffen und zu erhalten, aus den Augen verloren«, heißt es nun. Harmloser, aber auch alberner kann man es kaum noch formulieren.

Die Rücknahme der eigenen Programmatik verfolgt den Zweck, Die Linke paßförmig für eine künftige Zusammenarbeit mit SPD und Grünen auch auf Bundesebene zu machen. Ob es je dazu kommt, ist ungewiß. Gewiß ist aber jetzt schon, daß diese Anpassung an den europapolitischen deutschen Mainstream eine in Teilen desorientierte und entmutigte Partei hinterläßt. Es wird nicht einfach sein, mit diesem Programm einen offensiven und innerparteilich geschlossenen Europawahlkampf zu führen.

Zusätzlich erschwert wird der Wahlkampf durch die Personalentscheidungen des Parteitags. Der linke Flügel konnte mit Sabine Lösing und Fabio de Masi nur zwei seiner Kandidaten auf den ersten neun aussichtsreichen Plätzen durchbringen. Der Vertreter der Friedensbewegung, Tobias Pflüger, und die Repräsentantin des Gewerkschaftsflügels und gegenwärtige Europaabgeordnete Sabine Wils fielen in mehreren Wahlgängen durch. Vor fünf Jahren, auf dem Europaparteitag in Essen, war das Verhältnis zwischen den Flügeln noch ausgewogen.[9]

EUropa – Friedensmacht oder Kriegsprojekt?

Von Sabine Lösing

Unsere Autorin ist außen- und friedenspolitische Sprecherin der Linken im Europaparlament.

Ungeachtet der Frage, ob und in welchem Maße die Europäische Union dazu beigetragen hat, den Frieden im Inneren mit zu bewahren – nach Außen sah es seit eh und je ganz anders aus. Spätestens als im Jahr 1999 beschlossen wurde, eine militärische Eingreiftruppe im Umfang von 60 000 Soldaten aufzubauen, wurde darüber hinaus die Entscheidung getroffen, die eigenen Interessen fortan auch direkt mittels gewaltsamer Interventionen durchzusetzen. Daß von einer „Zivilmacht EUropa“ heute leider keine Rede mehr sein kann, davon legen die mittlerweile etwa 30 Einsätze im Rahmen der „Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik“ ein beredtes Zeugnis ab. Und selbst vor Militäreinsätzen im Inland scheint man inzwischen nicht mehr zurückzuschrecken.

Die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton nannte in einer Rede im März 2013 drei Gründe, weshalb die EU starke militärische Fähigkeiten benötige: „Erstens, um die Umsetzung der europäischen Ambitionen auf globaler Ebene zu gewährleisten. Das zweite Argument ist operativer Natur: Um zu gewährleisten, daß Europa über die richtigen militärischen Fähigkeiten verfügt, um handlungsfähig zu sein. Und der dritte Grund ist ökonomischer Natur: Hier geht es um Arbeitsplätze, Innovationen und Wachstum.“

Keiner dieser Gründe hat auch nur entfernt etwas mit Frieden zu tun: Die ersten beiden zielen darauf ab, ökonomische und strategische Interessen gewaltsam durchzusetzen, und sind nichts anderes als eine moralische Bankrotterklärung. Dies auch noch als eine Art Arbeitsbeschaffungsmaßnahme darstellen zu wollen, hat ebenfalls nichts mit der Realität zu tun. Wie man es also dreht und wendet, all dies muß zu der Schlußfolgerung führen: Kein Mensch braucht das Militär und eine militarisierte Europäische Union!

Wenn Catherine Ashton von den „europäischen Ambitionen auf globaler Ebene“ spricht, so stellt sich natürlich die Frage, worin diese bestehen. Hier wird inzwischen Klartext geredet, die – tatsächliche oder vermeintliche – pazifistische Vergangenheit muß nun zugunsten einer militärisch gestützten Weltmachtpolitik ad acta gelegt werden. Nur so könne es gelingen, im globalen Gerangel um Macht und Einfluß einen Sitz in der vordersten Reihe der Großmächte zu ergattern.

In aller Deutlichkeit hat dies der frühere britische Premierminister Tony Blair im Juni 2011 auf den Punkt gebracht: „Für Europa ist es wesentlich, daß es versteht, daß die einzige Möglichkeit, um Unterstützung für Europa zu erhalten, heute nicht auf einer Art Nachkriegssicht basieren kann, daß die EU notwendig für den Frieden ist. […] Die Existenzberechtigung Europas basiert heute auf Macht, nicht auf Frieden. […] In einer Welt, in der vor allem China dabei ist, zur dominierenden Macht des 21. Jahrhunderts zu werden, ist es für Europa vernünftig, sich zusammenzuschließen, um sein kollektives Gewicht zu

nutzen, um globalen Einfluß zu erlangen.“ Militärische Fähigkeiten gelten dabei allem Anschein nach als eine Art Leitwährung, über die man verfügen muß, um glaubhaft einen Anspruch als Globalmacht geltend machen zu können. So schreibt Nick Whitney, der ehemalige Leiter der EU-Verteidigungsagentur: „Der Wert der bewaffneten europäischen Streitkräfte besteht nicht so sehr darin, speziellen ‚Gefahren‘ zu begegnen, sondern weil sie ein notwendiges Instrument von Macht und Einfluß in einer sich schnell verändernden Welt darstellen, in der Armeen immer noch wichtig sind.“ Ganz ähnlich äußert sich auch der CDU-Verteidigungsexperte Andreas Schockenhoff: „Europa muß auch im 21. Jahrhundert in der Lage sein, militärische Macht einzusetzen, wenn dies der Wahrung und Durchsetzung seiner Interessen und Werte entspricht sowie völkerrechtlich legitimiert und politisch geboten ist. ‚Militärische Macht‘ bleibt ein Strukturprinzip internationaler Beziehungen.“

Wo und für welche konkreten Zwecke möchte die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton „handlungsfähig“ sein, um dem europäischen Weltmachtanspruch Nachdruck verschaffen zu können? Am 15. Oktober 2013 veröffentlichte sie ein Strategiepapier, in dem sie den gesamten Nachbarschaftsraum, der sich von Nordafrika bis in den Kaukasus erstreckt, zur eigenen Einflußsphäre und zu einem möglichen Zielgebiet von EU-Interventionen deklarierte: „Das neue Augenmerk der USA für die asiatisch-pazifische Region ist eine logische Konsequenz der geostrategischen Entwicklungen. Sie bedeutet auch, daß Europa mehr Verantwortung für seine eigene Sicherheit und die seiner Nachbarschaft übernehmen muß. […] Die Union muß in der Lage sein, als Sicherheitsgarant – mit Partnern so möglich, autonom wenn nötig – in seiner Nachbarschaft entschieden zu handeln, dies schließt direkte Interventionen ein. Strategische Autonomie muß sich zuerst in der Nachbarschaft der Europäischen Union materialisieren.“

Fragt man nach den Interessen, die zu einem Militäreinsatz führen können, so sind selbstverständlich an vorderer Stelle die Auseinandersetzungen um knapper werdende Rohstoffe zu erwähnen. Um nur ein Beispiel zu erwähnen: Im von der sozialdemokratischen Abgeordneten Maria Eleni Koppa angefertigten Bericht des Europäischen Parlaments zur „Umsetzung der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik“ wird offen gesagt, beim EU-Militäreinsatz ATALANTA vor der Küste Somalias gehe es darum, Handels- und Tankerrouten zu sichern: „Das Europäische Parlament […] fordert den Europäischen Rat auf, erneut die Bedeutung des Zugangs zu Energieressourcen und der Energieversorgungssicherheit Europas zu bekräftigen; weist darauf hin, daß die Operation ATALANTA bereits eine Rolle in der Energiesicherheit einnimmt, indem Piraten bekämpft werden, die seit 2008 einige Öltankeredntführt haben.“

Ganz generell geht es aber auch darum, sich über neoliberale „Reformen“ – wenn möglich exklusive – Investitions- und Absatzgebiete zu erschließen und hierdurch Länder und ganze Regionen auszubeuten.

Dies bedeutet aber auch (im Notfall), bereitzustehen und hieraus resultierende Armutskonflikte so weit als möglich militärisch zu deckeln, um so die „Stabilität“ des gesamten Weltwirtschaftssystems zu garantieren. Dies wird teils auch erschreckend offen eingeräumt: Im Mai 2011 erschien die deutsche Ausgabe des Sammelbandes „Perspektiven für die europäische Verteidigung 2020“, der von der hauseigenen Denkfabrik der Europäischen Union, dem „Institute for Security Studies“ in Paris herausgegeben wurde. Darin heißt es: „Abschottungseinsätze – Schutz der Reichen dieser Welt vor den Spannungen und Problemen der Armen. Da der Anteil der armen, frustrierten Weltbevölkerung weiterhin sehr hoch sein wird, werden sich die Spannungen zwischen dieser Welt und der Welt der Reichen weiter verschärfen – mit entsprechenden Konsequenzen. Da es uns kaum gelingen wird, die Ursachen dieses Problems, d.h. die Funktionsstörungen der Gesellschaften, bis 2020 zu beseitigen, werden wir uns stärker abschotten müssen. […] Für den Schutz der Ströme werden globale militärpolizeiliche Fähigkeiten (Schutz von Seewegen und kritischen Knotenpunkten etc.) und eine gewisse Machtprojektion (Verhinderung von Blockaden und Bewältigung von regionaler Instabilität) erforderlich sein.“

Weil die verheerenden Auswirkungen der neoliberalen Wirtschaftspolitik auch die zunehmende Verarmung der Menschen innerhalb der Europäischen Union zur Folge haben, wird mittlerweile sogar unüberhörbar darüber nachgedacht, im Falle von Sozialprotesten o. ä. notfalls auch EU-Militär im Inland einzusetzen. Es ist der am 1. Dezember 2009 in Kraft getretene Vertrag von Lissabon, der hierfür Tür und Tor geöffnet hat. Denn in der „Solidaritätsklausel“ des parallel verabschiedeten „Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union“ (AEUV, Artikel 222) heißt es: „Die Union mobilisiert alle ihr zur Verfügung stehenden Mittel, einschließlich der ihr von den Mitgliedstaaten bereitgestellten militärischen Mittel, um […] im Falle einer Naturkatastrophe oder einer vom Menschen verursachten Katastrophe einen Mitgliedstaat auf Ersuchen seiner politischen Organe innerhalb seines Hoheitsgebiets zu unterstützen.“

Jahrelang wurde vergeblich in Erfahrung zu bringen versucht, was eigentlich unter einer „vom Menschen verursachten Katastrophe“ zu verstehen ist. Erst Ende Dezember 2012 wurde diese Passage in dem von der EU-Außenbeauftragten und der EU-Kommission vorgelegten „Gemeinsamen Vorschlag für einen Ratsbeschluß zur Solidaritätsklausel“ präzisiert. Dort wird in Artikel 3 folgende Definition präsentiert: „Katastrophe: jede Situation, die schädliche Auswirkungen auf Menschen, die Umwelt oder Vermögenswerte hat oder haben kann;“ Auch eine „Krise“ kann die „Solidaritätsklausel“ auslösen, wobei diese wie folgt umschrieben wird: „Krise: eine ernste, unerwartete und häufig gefährliche Situation, die rechtzeitige Maßnahmen erfordert; eine Situation, die Menschenleben, die Umwelt, kritische Infrastrukturen oder wesentliche gesellschaftliche Funktionen betreffen oder bedrohen kann und auf eine natürliche oder von Menschen verursachte Katastrophe oder Terroranschläge zurückgeht.“ Insgesamt will man sich auch eine maximale Flexibilität bewahren: „Reaktion: jede Maßnahme, die während oder nach einer Katastrophe oder einem realen oder drohenden Terroranschlag zur Bekämpfung der unmittelbaren schädlichen Auswirkungen getroffen wird.“

Zumindest potentiell ist damit der Weg geebnet, Militär auch zur Niederschlagung von Sozialprotesten im EUInland einzusetzen. Dieser Verdacht ist jedenfalls alles andere als aus der Luft gegriffen. Das zeigt die Tatsache, daß EUProjekte bereits genau solche Szenarien im Auge zu haben scheinen. So schreibt „Focus“ über ein Projekt im Rahmen des EU-Forschungsrahmenprogramms zur künftigen europäischen Sicherheitsarchitektur: „Generell könnte die Europäische Union häufig militärische Kapazitäten für die innere Sicherheit auf Basis einer weiten Auslegung der Solidaritätsklausel verwenden. Militärische Kräfte würden Hilfe während ziviler Unruhen und Aufstände liefern, etwa beim Schutz kritischer Infrastruktur, zur Strafverfolgung, zur Katastrophenabwehr und bei Großereignissen.“

Kommen wir zum letzten Argument Ashtons, weshalb ein Militärapparat notwendig sei: die „segensreichen“ Wirkungen der Rüstungsindustrie für „Ar- beitsplätze, Innovationen und Wachstum“. Ganz abgesehen davon, daß dies wohl kaum eine Rechtfertigung darstellt, mit seinem Militär in der ganzen Welt herumzufuhrwerken, ist diese Aussage Ashtons auch noch schlicht falsch.

Immer wieder wird darauf angespielt, militärische Innovationen kämen auch der Privatwirtschaft zugute. Hochtechnologie ist aber heute Sache ziviler Firmen, und die Rüstungsindustrie greift auf deren Know-how zurück und nicht umgekehrt. Insgesamt ist festzuhalten, daß der volkswirtschaftliche Einfluß des Rüstungssektors, gelinde gesagt, stark übertrieben wird. Am Beispiel Deutschland argumentieren Lühr Henken und Peter Strutynski: „Der Umsatz der Rüstungsindustrie in Deutschland (2011 waren das nach Angaben des Bundesverbandes der deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie – BDSV – 28,3 Mrd. Euro), macht gerade einmal 1,1 Prozent des Bruttoinlandsprodukts aus (es handelt sich dabei um jene Werte, welche pro Jahr neu geschaffen werden). Setzt man den Exportwert der Rüstung (12,5 Mrd.) in Beziehung zum Gesamtexport der deutschen Wirtschaft, so landen wir sogar bei unter einem Prozent.“

Auch die Verweise auf den „Jobmotor Rüstungsindustrie“ halten keiner näheren Betrachtung stand. So verwies William Hartung auf neuere Studien aus den USA, in denen untersucht wurde, wie viele Arbeitsplätze durch Investitionen in verschiedenen gesellschaftlichen Sektoren geschaffen werden. Das Ergebnis: „Ausgaben im Militärbereich sind weniger effektiv, was die Schaffung von Arbeitsplätzen anbelangt, als so gut wie jede andere Form von Regierungsaktivität.“ Wiederum auf Deutschland bezogen, relativieren auch Henken und Strutynski die Bedeutung der Rüstungsindustrie für den Arbeitsmarkt: „Der BDSV spricht von 98 000 Rüstungsarbeitsplätzen (andere Schätzungen liegen bei nur 80 000). Aber auch diese höhere Zahl bedeutet nur einen Anteil von 0,24 Prozent aller Erwerbstätigen in Deutschland. Mit anderen Worten: Die Rüstungswirtschaft ist eine marginale Größe in Deutschland.“

Dies alles zeigt: Es wäre durchaus möglich, die Rüstungsproduktion auf die Herstellung ziviler Güter umzustellen. Doch hierfür fehlt der politische Wille – und dies hat nichts mit Arbeitsplätzen oder Frieden zu tun, sondern damit, daß das Militär ein zentrales Mittel für deutsche und europäische Weltmachtambitionen darstellt.

Peter Feininger

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Alle Artikel zum Thema EU-Wahlen 2014 finden sich hier http://www.forumaugsburg.de/s_3themen/Europa/index.htm



1] s. z. B. V. Wedl, „Europa in unsere Hände nehmen!“, Arbeit&Wirtschaft, 20-Mai-2014. [Online]. Verfügbar unter: http://blog.arbeit-wirtschaft.at/europa-in-unsere-haende-nehmen/. [Zugegriffen: 23-Mai-2014].

2] „Wähl dir ein besseres Europa. Du hast die Wahl, ver.di – Europawahl“, 2014. [Online]. Verfügbar unter: http://www.verdi.de/themen/internationales/europawahl. [Zugegriffen: 23-Mai-2014].

3] Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten

4] „Was passiert in Ungarn? Gespräch mit Vilmos Hanti – Präsident der FIR und des ungarischen MEASZ, Magazin der VVN-BdA, Mai/Juni 2014“, Mai-2014. [Online]. Verfügbar unter: http://antifa.vvn-bda.de/2014/05/20/was-passiert-in-ungarn/. [Zugegriffen: 23-Mai-2014].

5] „Wählt Antifaschisten ins Europäische Parlament! Aufruf der FIR zur Europawahl, Fédération Internationale des Résistants“, 08-Feb-2014. [Online]. Verfügbar unter: http://www.fir.at/2014/02/08/wahlt-antifaschisten-ins-europaische-parlament/. [Zugegriffen: 23-Mai-2014].

6] „Kandidaten unterstützen den FIR-Appell – Fédération Internationale des Résistants“, 03-Mai-2014. [Online]. Verfügbar unter: http://www.fir.at/2014/05/03/kandidaten-unterstutzen-den-fir-appell/. [Zugegriffen: 23-Mai-2014].

7] Patrick Schreiner, „Fünf gute Gründe, zur Europawahl zu gehen“, annotazioni.de, 21-Mai-2014. [Online]. Verfügbar unter: http://www.annotazioni.de/post/1385. [Zugegriffen: 21-Mai-2014].

8] „EUropa – Friedensmacht oder Kriegsprojekt?, Sabine Lösing, RotFuchs Mais 2014 Extra“, Mai-2014. [Online]. Verfügbar unter: http://www.rotfuchs.net/zeitung/aktuell/RF-196-05-14-Extra.pdf. [Zugegriffen: 23-Mai-2014].

9] Andreas Wehr, Nach Hamburger Linke-Europaparteitag. Selbstzensur, junge Welt, 17. Februar 2014


   
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