Tarifbewegung in der Metall- und Elektroindustrie

Die IG Metall zeigt Stärke

Gesamtmetall: „Wir wollen nicht, dass die Betriebe lange stillstehen und die Straßen voller roter Fahnen sind.“

4.2.2018

 

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Die IG Metall zeigt Stärke

Die IG Metall zeigt Stärke. Entsprechend berichten die Medien, so zum Beispiel der Spiegel am 1. Februar: „24-Stunden-Streiks in der Metallbranche. Auf Konfrontation. Die IG Metall legt zahlreiche Betriebe mit 24-Stunden-Streiks lahm, die Arbeitgeber klagen auf Schadensersatz: Der Tarifstreit steht kurz vor der letzten Eskalation.“[1] Einen Tag später titelt der Spiegel: „Hunderttausende bei Streiks. IG Metall lähmt Autoproduktion. Mit ihren Tagesstreiks hat die IG Metall unter anderem die Autoindustrie hart getroffen.“[2] Der NDR berichtet über die Lage im Norden: „Sensationelle Bilanz“ der Streiks.[3] Die Zeit schreibt: „IG Metall: Warnstreiks legen Produktion bei Autoherstellern lahm. Mehr als 300.000 Beschäftigte beteiligen sich laut IG Metall bundesweit an Warnstreiks. Werke von Audi, BMW, Daimler und Porsche standen demnach still.“[4] Und das Handelsblatt vermeldet besorgt: „IG-Metall-Streikbilanz: Produktionsausfälle durch Streik sind nicht aufzuholen. Die IG Metall hat für ihre Tagesstreiks gezielt Betriebe mit hoher Auslastung gewählt. Eine völlig ungerechtfertigte Eskalation, meinen Arbeitgebervertreter.“[5]

An den ganztägigen Arbeitsniederlegungen haben sich in Bayern bis Freitag, den 2. Februar, mehr als 120.000 Menschen beteiligt, davon mehr als die Hälfte bei BMW, Audi sowie den Zulieferern der Autoindustrie. „Allein am Freitag hatten 80.000 Warnstreikende die bayerische Autoindustrie komplett lahmgelegt“, stellt die Augsburger Allgemeine fest.[6]

Die IG Metall Bezirk Bayern schreibt in einer Pressemitteilung vom 2. Februar:

„Bei Audi in Ingolstadt und in sämtlichen BMW-Werken rollt heute kein einziges Auto vom Band. Bei Audi beteiligen sich 31.000 Beschäftigte am ganztägigen Warnstreik, bei BMW in München, Dingolfing, Landshut, Regensburg und Wackersdorf zusammen 36.500 Beschäftigte. Viele unorganisierte Mitarbeiter und Leiharbeiter unterstützen den Warnstreiks solidarisch. Auch die Kontraktlogistiker an den verschieden Standorten streiken mit. Die Produktionshallen sind überall leer (…) Auch bei den wichtigen Autozulieferern Schaeffler und SKF in Schweinfurt sind heute die Werkstore geschlossen. 9.000 Beschäftigte beteiligen sich dort an den ganztägigen Warnstreiks.

Insgesamt haben sich an den ganztägigen Warnstreiks an drei Tagen in Bayern 118.000 Beschäftigte in 45 Betrieben beteiligt. Somit konnte die IG Metall die Zahl der beteiligten Betriebe im Vergleich zu den ursprünglichen Planungen nochmals steigern.

Jürgen Wechsler, Bezirksleiter der IG Metall Bayern, sagt: „Die ganztägigen Warnstreiks sind ein Riesenerfolg, die Beschäftigten haben unsere Erwartungen noch übertroffen. Überall wo ich hingekommen bin, habe ich gesehen, dass sich auch Nicht-Mitglieder und Leiharbeiter beteiligt haben. Und überall haben die Beschäftigten signalisiert, dass sie bereit sind weiter zu streiken, wenn das nötig ist. Ich gehe davon aus, dass die Arbeitgeber die Eindrücke unserer ganztägigen Warnstreiks berücksichtigen, wenn sie zu uns an den Verhandlungstisch zurückkommen.“[7]

Am Tag zuvor, Donnerstag 1. Februar, konzentrierte sich die bayerische IG Metall auf die Zulieferindustrie, das „Herzstück der bayerischen Industrie“, wie sie sagt:

Am morgigen Donnerstag wird die IG Metall die ganztägigen Warnstreiks in Bayern ausweiten. In 18 Betrieben ruft die IG Metall die Beschäftigten auf, rund um die Uhr die Arbeit niederzulegen. Hinzu kommen drei Betriebe, die bereits am Mittwoch um 22 Uhr beginnen. Der Schwerpunkt liegt auf der Zulieferindustrie. So sind morgen beteiligt: fünf Werke von Bosch Rexroth in Lohr, Elchingen, Schweinfurt und Volkach, Bosch in Bamberg, Grammer in Amberg, Mahle Behr in Neustadt, Getrag in Bad Windsheim, Schaeffler und Pressmetall in Gunzenhausen, ZF Gusstechnologie und Federal Mogul in Nürnberg. In allen 18 Betrieben haben die Beschäftigten in Mitgliedervoten mit überwältigenden Mehrheiten für die Durchführung von ganztägigen Warnstreiks gestimmt.

Jürgen Wechsler, Bezirksleiter der IG Metall Bayern, sagt: „Die Arbeitgeber brauchen gute Nerven. Denn wir werden jetzt das Herzstück der bayerischen Industrie bestreiken. Das Grundgesetz ermöglicht den Beschäftigten, auf diese Weise ihre gemeinsamen Interessen gegenüber den Arbeitgebern durchzusetzen. Und wir werden jetzt die Kraft dieses Verfassungsrechts entfalten.“

Jürgen Wechsler redet am morgigen Donnerstag um 7 Uhr bei KSB in Pegnitz, um 9.30 Uhr bei Hamm in Tirschenreuth und um 11 Uhr bei Siemens Healthcare in Kemnath.[8]

Den Pressemitteilung der IG Metall kann man entnehmen, dass die Gewerkschaft in Bayern den Hauptschlag gegen die Konzerne richtet, ihre Hauptwerken in den Zentren, aber auch ihre Niederlassungen in der Region sowie gegen die großen Zulieferer und andere Großbetriebe. Nahezu alle Regionen in Bayern, alle Großstädte und viele kleine und mittlere Städte sind betroffen. Dort stehen die Produktionen Stunden oder auch tageweise still, hunderte und tausende Arbeiter marschieren durch die Orte, versammeln sich zu Kundgebungen in den Städten und vor den Werkstoren. Die Arbeiter machen ihre Betriebe systematisch dicht, indem sie lückenlos alle Tore besetzen und bei Tag und bei Nacht Streikposten stehen. Die Kapitalisten sind sichtlich beunruhigt, ja fast eingeschüchtert, aber auch die Gewerkschaftsleitungen scheinen überrascht von der Entschlossenheit der Arbeiter_innen.

Auch in der Augsburger Region geht es rund

Auch im Maschinenbau in Bayern wurde gestreikt, zum Beispiel massiv bei MAN oder auch bei der MAN-Tochter Renk in Augsburg. Am vergangenen Donnerstag wurde der Rüstungsbetrieb Renk von den bei der IG Metall organisierten Arbeitern komplett dicht gemacht, für einen ganzen Tag und eine ganze Nacht. An jedem Tor standen Streikposten, keiner gelangte in den Betrieb. Auch in der Luftfahrtbranche wurde gestreikt. So gab es schon frühzeitig bei Premium Aerotec in Augsburg Haunstetten, ebenfalls ein Rüstungsbetrieb, am 10. Januar einen zweistündigen Warnstreik. An der Kundgebung vor dem Tor 4 nahmen etwa 1500 Arbeiter teil, also schätzungsweise mehr als drei Viertel der in der Tagschicht anwesenden Belegschaft. Übrigens, auch bei Premium Aerotec in Varel (Niedersachsen) wurde gestreikt.

Nach Auslaufen der Friedenspflicht am 31. Dezember war schon die erste Warnstreikwoche der IG Metall auch in Augsburg und in Nordschwaben ein voller Erfolg, wie die IG Metall in ihrem wöchentlich erscheinenden Montagszettel berichtet.[9] Premium Aerotec, Ledvance (früher Osram), MAN Diesel & Turbo, manroland & MT Aerospace, Eberle Schwabmünchen, Renk, AGCEO & Fendt Caravan Mertingen, SGL Carbon Meitingen, Brembo SGL & Schowa Denko, Meitingen. In der zweiten Warnstreikwoche, die die IG Metall Augsburg als „Super 2. Warnstreikwoche!“ bezeichnete, demonstrierten 11.000 Metallerinnen: Federal Mogul Friedberg, Airbus Helicopters Donauwörth, Valeo Wemding, BSH Hausgeräte Bosch Dillingen, Faurecia Augsburg, Kuka, Same Deutz Fahr SDFD Lauingen.

Gesamtmetall: „Wir wollen nicht, dass die Betriebe lange stillstehen und die Straßen voller roter Fahnen sind.“

Der Kapitalistenverband Gesamtmetall lässt jetzt „Gesprächsbereitschaft erkennen“:

Rainer Dulger vom Arbeitgeberverband Gesamtmetall ließ ebenfalls Gesprächsbereitschaft erkennen: „Wir wollen nicht, dass die Betriebe lange stillstehen und die Straßen voller roter Fahnen sind. Ich hoffe deshalb, dass wir so schnell wie möglich noch mal in gute Gespräche finden“, sagte er dem „Handelsblatt“.[10]

Gleichzeitig schlägt der vbm Verband der Bayerischen Metall- und Elektroindustrie, wie alle Regionalverbände von Gesamtmetall, scharfe Töne an:

vbm tief enttäuscht von IG Metall – Klage eingereicht

Der vbm kritisiert die IG Metall scharf. Nach über 16 Stunden musste die vierte Tarifverhandlung in Baden-Württemberg aufgrund unerfüllbarer Forderungen seitens der Gewerkschaft ergebnislos abgebrochen werden. „Das Verhalten der IG Metall enttäuscht uns tief. Die IG Metall hat die Entgeltforderungen auf ein für uns nicht mehr akzeptables Maß ausgeweitet. Echten Verhandlungswillen zeigte sie am Ende weder bei der Entgeltfindung, noch bei der Arbeitszeitflexibilisierung“, kommentierte vbm Hauptgeschäftsführer Bertram Brossardt.

Weiter verurteilt der vbm die am 27. Januar 2018 getroffene Entscheidung des IG Metall Vorstandes zur Durchführung von 24-Stunden-Warnstreiks. „Die sogenannten Tagesstreiks sind eine völlig unnötige Eskalation. Das ist ein Tabubruch, gegen den wir wegen der rechtswidrigen und diskriminierenden Forderung nach einem Teillohnausgleich rechtlich vorgehen“, betont Brossardt und fügt hinzu: „Mit den Tagesstreiks entstehen gerade in der Metall- und Elektro-Industrie mit ihren internationalen Wertschöpfungsketten große volkswirtschaftliche Schäden, obwohl die Metallarbeitgeber in Baden-Württemberg großen Einigungswillen gezeigt haben.“

Brossardt erklärt weiter: „Die IG Metall muss einsehen, dass der Teillohnausgleich für bestimmte Beschäftigtengruppen nicht nur ungerecht und diskriminierend ist, sondern auch rechtswidrig. Das haben wir mehr als deutlich gemacht. Leider hält die IG Metall an ihren drei Hauptforderungen trotz gutachterlich belegter Rechtswidrigkeit fest. Umso enttäuschter sind wir, dass wir das nun vor Gericht klären lassen müssen. Wir wollen nach wie vor eine Lösung am Verhandlungstisch und nicht auf dem Instanzenweg.“[11]

Die IG Metall fordert einerseits 6 Prozent mehr Lohn bei einer Laufzeit des Tarifvertrags von zwölf Monaten. Zum anderen kämpft sie für eine Regelung, wonach Beschäftigte ihre Arbeitszeit bis zu zwei Jahre lang auf 28 Stunden reduzieren können. Damit sollen Schichtarbeiter_innen, Eltern kleiner Kinder sowie Beschäftigte, die zu Hause Angehörige pflegen, ihren Lohn zum Teil weiter bekommen (Teillohnausgleich).

Die IG Metall setzt das Mittel ganztägiger Warnstreiks erstmals ein. Die Kapitalisten sind in Aufruhr, denn die Strategie der IG Metall funktioniert prächtig. Die Bezirksleitung der IG Metall Bayern spricht von einer überwältigenden Zustimmung bei den Mitgliedervoten in den Betrieben. Die 24-Stunden-Streiks werden für Gewerkschaftsmitglieder von der IG Metall bezahlt. Angestellte werden bei den Warnstreiks in der Regel leider nicht gesehen. Die Angestellten dürften auch kaum organisiert sein und erhalten daher auch kein Geld. Sie sind aber offensichtlich auch nicht zum Streikbruch bereit.

Die Betriebe, in denen die IG Metall zu den Tagesstreiks aufruft, sind in der Regel komplett dicht und stehen still. Die Streikposten vor den Werkstoren und Eingängen haben keine Probleme mit Streikbrechern. Damit hat die IG Metall endlich mit den 24-stündigen Warnstreiks ein ideales Druckmittel in der Hand. Denn sie gehen nicht auf Kosten der Belegschaften so wie die mehrstündigen Warnstreiks, und sie sind beliebig dosierbar: räumlich, zeitlich und auch von der Betriebsstruktur beziehungsweise Betriebsgröße her. So kann die IG Metall kleine und mittlere Betriebe von den Streiks ausnehmen, falls das angebracht ist.

Die Unternehmer versuchen die Warnstreiks, gegen die sie faktisch und wohl auch juristisch machtlos sind, jetzt auf einem Umweg zu illegalisieren. Sie versuchen die Forderung nach Teillohnausgleich gerichtlich für illegal zu erklären. Damit wären auch die Streiks für diese Forderung illegal. Bisher wurden die Klagen der Metallarbeitgeber von den Gerichten abgewiesen oder so weit nach hinten vertagt, dass sie keinen Einfluss mehr auf die aktuelle Tarifauseinandersetzung haben.

Die Arbeitgeberangebote – ein Horrorkatalog

Nach Aussagen der IG Metall Augsburg boten die Arbeitgeber zur zweiten Verhandlung gar nichts an, sondern legten ihrerseits ein Forderungspaket vor, das die IG Metall Bezirksleitung als ein vergiftetes Angebot bezeichnete.[12]

Zur zweiten Verhandlung für die bayerische Metall- und Elektroindustrie in München am 6. Dezember 2017 präsentierten die Arbeitgeber Forderungen:

• Individuelles Arbeitszeitvolumen mit individueller Arbeitszeitvereinbarung ohne Quotenbeschränkung. Arbeitgeber entscheiden über Länge der Arbeitszeit von 28 Stunden bis hoch auf 42 Stunden

• Vorübergehende, kollektive Erhöhung der Arbeitszeit mit Entgeltanpassung aber ohne Mehrarbeitszuschläge von 29 Stunden bis hoch auf 41 Stunden

• Entfall der Zeitzuschläge (z.B. für mobiles Arbeiten, Heimarbeit), wenn Arbeitnehmer die Lage der Arbeitszeit selbst bestimmen können • Ausweitung von Befristungen (z.B. sachgrundlose Befristung auf 48 Monate und mehr)

• Abschaffung bezahlte 3-Schicht-Pause

• Abschaffung Entgeltausgleich bei Leistungsminderung

• Abschaffung Kündigungsschutz für ältere Mitarbeiter

Da dreht jemand durch!!!

 

 

 

 

 

 

 


Zuvor schon hat der Arbeitgeberverband Gesamtmetall eine Einmalzahlung von 200 Euro für das erste Quartal 2018 angeboten sowie im Anschluss ein Lohnplus von zwei Prozent bis März 2019 an. Überdies legte er ein Gutachten vor, demzufolge der Teillohnausgleich aus verschiedenen Gründen unrechtmäßig sei – und damit auch die Forderung der IG Metall. Das heißt, eine vorübergehende Arbeitszeitverkürzung auf 28 Stunden mit teilweisem Lohnausgleich lehnen die Kapitalisten komplett ab und ziehen dagegen vor Gericht. Beim Lohn bieten sie tarifwirksam nur 2 Prozent über eine Laufzeit von 15 Monaten an, was auf ein Jahr gerechnet lediglich 1,6 Prozent ausmacht.

Die IG Metall-Führung spielt nicht mit offenen Karten vor den kämpfenden Belegschaften und hat insgeheim schon einen „finalen Lösungsvorschlag“

Mit einer Forderung von 6 Prozent von Seiten der IG Metall ist diesmal wohl eine gute Vier vor dem Komma angepeilt. Das wäre bei der jetzigen Ertragslage der Metall- und Elektroindustrie wohl das mindeste. Aber die IG Metall spricht auf ihren Streikkundgebungen nicht über eine 4 vor dem Komma. Eine Debatte unter den Arbeiter_innen, wie ein möglicher Kompromiss wohl mindestens aussehen müsste, ist von Seiten der Gewerkschaft offensichtlich gar nicht erwünscht. Der Funktionärskörper der IG Metall will sich wohl nicht durch die Belegschaften binden lassen bei den Verhandlungen mit den Unternehmen, sondern freie Hand haben. Dies ist kein gutes Zeichen. Hinzu kommt, dass die Laufzeit des Tarifvertrags entscheidender ist als die absolute Höhe des Lohnabschlusses. Und die Laufzeiten, die abgeschlossen werden, sind in den letzten Jahren in der Regel wesentlich länger als zwölf Monate gewesen.

So hatten sich zuletzt im Jahr 2016 beide Seiten auf eine Entgelterhöhung von insgesamt 4,8 Prozent in zwei Stufen und 150 Euro Pauschale bei 21 Monaten Laufzeit geeinigt. Das Handelsblatt weist aber darauf hin:

Die wirtschaftliche Lage habe sich seither aber nicht verschlechtert, ganz im Gegenteil, argumentiert die IG Metall. Die Auftragsbücher sind voll, für das laufende Jahr können die Unternehmen der Branche im Schnitt mit vier Prozent Gewinnmarge rechnen. Die Gewerkschaft orientiert ihre Tarifforderung deshalb nicht nur an der erwarteten Produktivitätssteigerung und der Zielinflationsrate der Europäischen Zentralbank, sondern kalkuliert auch eine „Umverteilungskomponente“ von bis zu drei Prozent ein. Angesichts der guten Wirtschaftslage sei das Entgeltangebot der Arbeitgeber völlig inakzeptabel, sagte Wechsler.[13]

Zur außerordentlich guten Ertragslage der Metallbranche mit einer Netto-Umsatzrendite von 4 Prozent schrieb auch die Augsburger IG Metall in einem Flugblatt:

Die Metall- und Elektroindustrie ist in einer wirtschaftlich guten Verfassung. Die Profite sind seit Jahren auf einem überdurchschnittlichen Niveau. Die Tariferhöhungen der letzten Jahre haben die Ertragslage der Unternehmen nicht geschwächt. Die Netto-Umsatzrendite lag in den letzten beiden Jahren mit 4 Prozent auf Rekordniveau. Nur im Jahr 2008 unmittelbar vor der Krise waren die Profite höher. Die gute Ertragslage zeigt: Die Metall- und Elektroindustrie hat die zuletzt gestiegenen Lohnstückkosten sehr gut verkraftet. In dieser wirtschaftlichen Situation gibt es keinen Grund, den Beschäftigten einen angemessenen Anteil am wirtschaftlichen Erfolg zu verwehren.[14]

Der vbm Verband bayerischer Metallarbeitgeber gibt nun zum ergebnislosen Abbruch der fünften Verhandlung zwischen Südwest Metall und der IG Metall in Baden-Württemberg am 27. Januar 2018 eine beunruhigende Information heraus:

Ein neuer Termin wurde nicht vereinbart. Die IG Metall hat am Ende der Verhandlung ein Forderungspaket mit einem Volumen von 8,0 Prozent für eine Laufzeit von 27 Monaten auf den Tisch gelegt, von dem sie nicht abzurücken gewillt war.

Südwestmetall hat zuletzt ein Angebot mit einem Volumen von ca. 7,0 Prozent für eine Laufzeit von 27 Monaten vorgelegt, das eine erste Stufe mit einer Tabellenerhöhung von 3,5 Prozent sowie zwei Einmalzahlungen beinhaltete und für die zweite Stufe ein rechtskonformes Modell für eine Arbeitszeitabsenkung in einem Wert von acht Tagen vorsah.[15]

Das würde bedeuten, dass die IG Metall und der Unternehmerverband beide eine Laufzeit von 27 Monaten anstreben (das wären mehr als zwei Jahre!) und im Volumen nur noch ein Prozent auseinander sind. Damit würde bei der nächsten Verhandlungsrunde ein Abschluss so gut wie feststehen.

Dies ist ein gravierender Vorgang. Dazu muss man wissen, dass der Südwesten als Pilotbezirk für die diesjährige Tarifrunde gehandelt wird. Ein Pilotabschluss in Baden-Württemberg würde wie üblich von allen anderen Tarifbezirken der IG Metall übernommen. Die IG Metall selbst lässt praktisch nicht heraus, was da in der fünften Verhandlungsrunde auf dem Tisch lag und verhandelt wurde.

Auf einer Pressekonferenz im Anschluss an die fünfte Verhandlungsrunde in Baden-Württemberg ließen Jörg Hofmann, der erste Vorsitzende der IG Metall, und Roman Zitzelsberger, der Bezirksleiter Baden-Württemberg und Verhandlungsführer, lediglich die folgende dunkle Formulierung heraus: „Zum Abbruch der Verhandlungen führte schließlich, dass die Arbeitgeber auch einen finalen Lösungsvorschlag der IG Metall abgelehnt haben, der keine weiteren Kompromisse zugelassen hat.“[16]

Man muss es eigentlich schon als Frechheit bezeichnen, dass die IG Metall-Führung offensichtlich einen „finalen Lösungsvorschlag“ in der Tasche hat, diesen aber geheim hält und die Belegschaften im Anschluss an den 27. Januar in massive Warnstreiks schickt, ohne ihnen reinen Wein einzuschenken.

 

„Nehmt euch die Zeit“

Wie ein Teillohnausgleich für eine Verkürzung der Arbeitszeit auf 28 Stunden aussehen könnte, konnte man schon Anfang Dezember dem Handelsblatt entnehmen:

Das Thema Arbeitszeit habe die andere Seite dabei schlicht ignoriert, kritisiert der Gewerkschafter. Die IG Metall will erreichen, dass alle Beschäftigten ihre Arbeitszeit auf Wunsch bis zu zwei Jahre lang auf bis zu 28 Stunden absenken können. Derzeit gilt in Westdeutschland tariflich die 35-Stunden-Woche, im Osten sind es 38 Stunden. Reduzieren Beschäftigte ihre Arbeitszeit, weil sie sich um Kinder unter 14 Jahren oder pflegebedürftige Angehörige kümmern wollen, soll ihnen ein Teil des entgangenen Lohns nach Gewerkschaftsvorstellungen pauschal mit 200 Euro im Monat ersetzt werden. Schichtarbeiter, die kürzer treten, sollen 750 Euro im Jahr erhalten.[17]

Auch diese konkreten Vorstellungen für einen Teillohnausgleich konnten die Belegschaften kaum diskutieren, weil die IG Metall nicht darüber sprach.

Vor gut drei Wochen brachte Spiegel Online einen sehr lesenswerten Artikel unter der Überschrift: „IG Metall kämpft für 28-Stunden-Woche. Nehmt euch die Zeit. Zwei Jahre ohne große finanzielle Einbußen Angehörige pflegen oder Kinder erziehen können: Das fordert die IG Metall für Arbeitnehmer. Der Vorstoß entspricht dem Zeitgeist – und kann funktionieren.“[18] Dazu brachte Spiegel Online ein Bild mit einem großen, handgeschriebenen Transparent von einer IG Metall Kundgebung: „Arbeitszeit – Selbstbestimmt für Arbeit und Privates“.

Der Arbeitgeberverband Gesamtmetall bezeichnet die 28 Stundenwoche als eine „Stilllegeprämie für Fachkräfte“. Dennoch treffe der Vorstoß der Gewerkschaft nach vorübergehend geringeren Arbeitszeiten einen Nerv, schreibt Spiegel Online und zitiert eine Arbeitsmarktforscherin: „Von den zwei Währungen Geld und Zeit gewinnt die Währung Zeit zunehmend an Bedeutung … Die Menschen haben nicht mehr das Gefühl, sie können noch selbst bestimmt über ihre Zeit verfügen“.

Eltern mit Kindern sind in der Regel beide berufstätig und haben Geld- und Zeitprobleme zu meistern. Das Zuhause der Menschen sei heute anders organisiert als früher. 33 Jahre nach dem bislang letzten großen Streit um die Arbeitszeitkämpfe die IG Metall nun erneut nicht mehr nur um mehr Geld, sondern um Mitbestimmung bei der Arbeitszeit. Wie beim damaligen Kampf um die 35 Stundenwoche sei die Streikkasse auch heute nach langer Pause gut gefüllt. Spiegel Online lässt auch das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) zu Wort kommen. Die Arbeit in bestimmten Lebensphasen für eine bestimmte Zeit reduzieren zu können, sei vernünftig und man solle diese Möglichkeit nicht nur für Erziehung und Pflege nutzen, sondern etwa auch für Weiterbildung.

Es ist offensichtlich so, dass die erstaunliche Mobilisierungsfähigkeit der IG Metall nicht nur auf der Lohnforderung beruht, sondern eben auch auf dieser Komponente einer selbstbestimmten Reduzierung und Flexibilisierung der Arbeitszeit.[19] Beim Streik bei Renk in Augsburg trat auch der dritte Bürgermeister und Sozialreferent der Stadt ans Mikrofon und begründete die Forderung nach 28-Stunden-Woche ausführlich. Dieser doch etwas ungewöhnliche Vorgang könnte auch ein Indiz dafür sein, wie breit die Stimmung für eine an den Interessen der Belegschaften und Familien orientierten Arbeitszeitverkürzung ist.

Über den bevorstehenden Deal zwischen der IG Metall und Gesamtmetall wollen wir hier nicht spekulieren. Es scheint aber etwas in der Luft zu liegen, das – wie wir weiter oben gezeigt haben – nicht nur auf der Kampfstärke der Metaller beruht, sondern auch ein Komplott zwischen den Sozialdemokraten auf höchster Ebene der Gewerkschaft und dem Verband der Metallunternehmer sein könnte. So erfrischend die Warnstreikbewegung mit den 24-stündigen Vollstreiks in 200 bis 300 Betrieben bundesweit war, so hat diese Taktik doch auch ein entscheidendes Manko. Wenn ein Verhandlungsergebnis vorliegt, entscheiden nicht die Belegschaften, die gestreikt haben, über Annahme oder Ablehnung, sondern die die Tarifkommissionen der IG Metall-Bezirke. Eine Urabstimmung über den ausgehandelten Abschluss ist bei dieser Streiktaktik nicht vorgesehen. Wir wollen nicht hoffen, dass es so hinausgeht, dass die Arbeiter_innen zwar ihre Kampfkraft zeigen durften und gezeigt haben, dann aber ein Ergebnis hinnehmen müssen, über das man mit ihnen vorher nicht gesprochen hat.

Peter Feininger, 4. Februar 2018

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Alle Fotos vom 24-stündigen Warnstreik bei Renk Augsburg am 1./2. Februar 2018. Renk ist ein Tochterunternehmen von MAN, ein Rüstungsbetrieb, der auch Getriebe für Kriegsschiffe herstellt, und weltweit führender Hersteller von Panzergetrieben ist. Der Betrieb wurde von den IG Metall-Kolleg_innen komplett stillgelegt, alle Tore waren Tag und Nacht besetzt.

 

1] Diekmann, Florian. „24-Stunden-Streiks in der Metallbranche: Auf Konfrontation“. Spiegel Online, 1. Februar 2018, Abschn. Wirtschaft. http://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/ig-metall-und-gesamtmetall-auf-konfrontationskurs-24-stujden-streiks-a-1190797.html.

2] „IG-Metall mobilisiert 500.000 zu 24-Stunden-Streiks - Autoproduktion gelähmt“. Spiegel online, 2. Februar 2018. http://www.spiegel.de/wirtschaft/unternehmen/ig-metall-mobilisiert-500-000-zu-24-stunden-streiks-autoproduktion-gelaehmt-a-1191193.html.

3] „IG Metall: ‚Sensationelle Bilanz‘ der Streiks“. NDR.de, 2. Februar 2018. https://www.ndr.de/nachrichten/IG-Metall-Sensationelle-Bilanz-der-Streiks,warnstreiks366.html.

4] „IG Metall: Warnstreiks legen Produktion bei Autoherstellern lahm“. Die Zeit. 2. Februar 2018, Abschn. Wirtschaft. http://www.zeit.de/wirtschaft/unternehmen/2018-02/warnstreiks-ig-metall-bmw-daimler-porsche

5] Frank Specht. „IG-Metall-Streikbilanz: Produktionsausfälle durch Streik sind nicht aufzuholen“. Handelsblatt, 2. Februar 2018. http://www.handelsblatt.com/politik/deutschland/ig-metall-streikbilanz-produktionsausfaelle-durch-streik-sind-nicht-aufzuholen/20923546.html.

6] „IG Metall droht auf Abschlusskundgebung mit weiteren Streiks“. Augsburger Allgemeine online, 3. Februar 2018. http://www.augsburger-allgemeine.de/wirtschaft/IG-Metall-droht-auf-Abschlusskundgebung-mit-weiteren-Streiks-id44066591.html.

7] „80.000 Warnstreikende bringen bayerische Autoindustrie zum Stillstand“. IG Metall Bayern online, 2. Februar 2018. https://www.igmetall-bayern.de/nachrichten/ansicht/datum/2018/02/02/titel/80000-warnstreikende-bringen-bayerische-autoindustrie-zum-stillstand/.

8] „IG Metall steigert morgen ganztägige Warnstreiks in Bayern, Pressemitteilung der IG Metall Bayern“. IG Metall Bayern online, 31. Januar 2018. https://www.igmetall-bayern.de/nachrichten/ansicht/datum/2018/01/31/titel/ig-metall-steigert-morgen-ganztaegige-warnstreiks-in-bayern/.

9] „Montagszettel IG Metall Augsburg. Alle Wochen-Infos der IG Metall Geschäftsstelle in Augsburg“. IG Metall Augsburg. Zugegriffen 4. Februar 2018. http://www.igmetall-augsburg.de/wocheninfo/.

10] „IG-Metall mobilisiert 500.000 zu 24-Stunden-Streiks - Autoproduktion gelähmt“. Spiegel online, 2. Februar 2018. http://www.spiegel.de/wirtschaft/unternehmen/ig-metall-mobilisiert-500-000-zu-24-stunden-streiks-autoproduktion-gelaehmt-a-1191193.html.

11] „Tagesstreiks der IG Metall in Bayern, Bayerische M + E Arbeitgeber“. bayme vbm, 2. Februar 2018. https://www.baymevbm.de/baymevbm/ServiceCenter/Tarif/Tarifrunde-2018/IG-Metall-beschlie%C3%9Ft-Tagesstreiks.jsp.

12] Montagszettel IG Metall Augsburg, a. a. O., Nr. 48, Dezember 2017

13] Frank Specht. „Tarifrunde: Überraschendes Angebot der Metall-Arbeitgeber“. Handelsblatt, 7. Dezember 2017. http://www.handelsblatt.com/politik/deutschland/tarifrunde-ueberraschendes-angebot-der-metall-arbeitgeber/20678724.html.

14] Montagszettel IG Metall Augsburg, a. a. O., Nr. 41, Dezember 2017

15] „Fünfte Tarifverhandlung in Baden-Württemberg ohne Ergebnis, Bayerische M + E Arbeitgeber“. bayme vbm, 2. Februar 2018. https://www.baymevbm.de/baymevbm/ServiceCenter/Tarif/Tarifrunde-2018/Abbruch-der-Tarifverhandlungen-in-Baden-W%C3%BCrttemberg.jsp.

16] „5. Verhandlung ME ergebnislos beendet“. IG Metall Baden-Württemberg, 27. Januar 2018. http://www.bw.igm.de/news/meldung.html?id=85845.

17] Frank Specht. „Tarifrunde: Überraschendes Angebot der Metall-Arbeitgeber“. Handelsblatt, 7. Dezember 2017. http://www.handelsblatt.com/politik/deutschland/tarifrunde-ueberraschendes-angebot-der-metall-arbeitgeber/20678724.html.

18] Preker, Alexander. „IG Metall kämpft für 28-Stunden-Woche: Nehmt euch die Zeit“. Spiegel Online, 10. Januar 2018, Abschn. Wirtschaft. http://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/28-stunden-woche-bringt-die-ig-metall-den-deutschen-die-28-stunden-woche-a-1186934.html.

19] Siehe hierzu auch das Dossier der Rosa-Luxemburg-Stiftung Kämpfe um Arbeitszeit https://www.rosalux.de/dossiers/kaempfe-um-arbeitszeit/id//kaempfe-um-arbeitszeit/


   
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