Wissenschaft und Lehre zum Billigtarif

Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft unterstützt den Aktionstag der Lehrbeauftragten - „Prekäre durch reguläre Arbeit ersetzen“


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Nach einem populären Vorurteil wird prekäre Beschäftigung mit geringer Qualifikation verbunden. Und als Allheilmittel gegen befristete und schlecht bezahlte Arbeit wird in den Medien immer und immer wieder den Arbeitnehmern das Mantra von mehr Bildung vorgebetet. Dass aber gerade am oberen Ende der Bildungsskala mehr als 90000 Lehrbeauftragte in Deutschland oft zu Dumping-Löhnen beschäftigt werden, ist den wenigsten bekannt. Oft haben nicht einmal die Studentinnen und Studenten eine Ahnung davon, wie wenig Geld die wissenschaftlichen Mitarbeiter*innen bekommen, von denen sie in Seminaren oder Arbeitsgruppen belehrt und unterstützt werden.

Gegen dieses weit verbreitete Unwissen unterstützte die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) bundesweit am 6.11.2014 einen Aktionstag. Die Augsburger GEW hat sich als Schwerpunkt die philosophische und die sozialwissenschaftliche Fakultät ausgesucht und Informationsblätter für Lehrbeauftragte und Studis verteilt. Und die Resonanz war gut, wie schon einen Monat vorher am 6.10. 2014 zum Flugblatt gegen das Handels- und Investitionsabkommen TTIP.

Eine miserable Lage

Drei Viertel des wissenschaftlichen Personals an den Hochschulen sind nur befristet beschäftigt. Die Befristungen variieren zwischen einem halben und fünf Jahren. Darüber hinaus sind viele der befristeten Arbeitsverhältnisse auch nur Teilzeitstellen. Diese Stellen wurden in den letzten Jahren zunehmend mit Lehre und mit Verwaltungsarbeit überfrachtet, so dass die geforderte wissenschaftliche Weiterqualifikation oft nur noch in der Freizeit möglich ist.

 

Ob der Künstler geahnt hat, dass die Lehrbeauftragten nicht von ihrer Hände Arbeit leben können?

Die Augsburger GEW sieht einen engen Zusammenhang zwischen der prekären Situation der wissenschaftlichen Mitarbeiter*innen und der Zweiklassengesellschaft an den Hochschulen. Die große Masse der Student*innen kommt nämlich nur bis zum stark regulierten Bachelor-Abschluss. Nur eine Minderheit darf weiter machen im Master-Studiengang, wo sie die eigentliche wissenschaftliche Qualifikation erwirbt.

Die wissenschaftlichen Mitarbeiter*innen dürfen die personell und räumlich schlecht ausgestatteten Bachelor-Studiengänge betreuen, zunehmend auf Kosten ihrer eigenen Forschungs- und Publikationstätigkeit. Den Professor*innen dagegen sind die weitaus besser ausgestatteten Seminare der Master-Studiengänge vorbehalten.

Nur ein Bruchteil der Arbeit, die Lehrbeauftragte leisten, wird vergütet. Bezahlt wird nach der Anzahl der im Seminar gehaltenen Lehrstunden. Nicht berücksichtigt werden die inhaltliche Vorbereitung, die Erstellung von Unterrichtsmaterialien, Sprechstunden, Korrekturen und administrative Tätigkeiten. Würde man diese Arbeitszeit berücksichtigen, käme man auf einen Stundenlohn, der deutlich unter dem Mindestlohn liegt. Der emeritierte Politikwissenschaftler Peter Grottian (FU Berlin) errechnete in der Süddeutschen Zeitung (SZ-online vom 7.10.14) gar einen Stundenlohn von zwei Euro für „das promovierte Prekariat“.

Die Forderungen

Die Drittmittelforschung ist das trojanische Pferd, mit dem private Unternehmen auf wissenschaftliche Infrastruktur zugreifen.

Im Templiner Manifest fordert die GEW:

„Mit der Ausbeutung von Dumping-Lehrkräften muss Schluss sein! Dort, wo Lehrbeauftragte dauerhaft Lehr- und Prüfungsaufgaben wahrnehmen, müssen diese sozialversicherungs-pflichtige Beschäftigungsver-hältnisse erhalten.“

Konkret fordert die GEW die Anlehnung an die Vergütung der hauptamtlich Beschäftigten nach dem Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst der Länder (mindestens Entgeltgruppe 13 TV-L). Außerdem sollen Lehrbeauftragte in den Geltungsbereich der Personalvertretungsgesetze aufgenommen werden. Von den Bundesländern verlangt die GEW, dass die Lehrbeauftragten Mitgliederstatus an der Hochschule und somit aktives und passives Wahlrecht in der akademischen Selbstverwaltung erhalten.

Ein harter Kampf für eine andere Bildungspolitik

Bis diese Ziele erreicht sind, wird noch hartnäckig und zäh zu kämpfen sein. Denn die wissenschaftlichen Mitarbeiter*innen sind gespalten in die weniger qualifizierten, aber besser bezahlten Doktoranden und die höher qualifizierten, aber schlechter bezahlten Lecturers. Zudem sind wie in anderen Branchen auch Anpassung, Widerstand und Akzeptanz der prekären Beschäftigung unterschiedlich verteilt.

Das größte Hindernis für bessere Berufsperspektiven ist aber die strukturelle Unterfinanzierung der Universitäten und Hochschulen. Dadurch werden sie unter einen politisch gewollten Wettbewerbsdruck gesetzt. Sie müssen ihr schmales Budget mit Drittmitteln aufbessern. Und daher konkurrieren sie um Projekte und Forschungsaufträge aus der Industrie, der EU-Bürokratie und auch der Militärindustrie. Die Auftraggeber haben von diesem Deal den Vorteil, dass sie nicht eigene kostenintensive Forschungsabteilungen errichten müssen. Drittmittelforschung kommt für sie billiger, weil sie für ihre privaten Interessen auf eine staatlich finanzierte wissenschaftliche Infrastruktur zurückgreifen können.

Wehrten sich in den 70er Jahren noch die Studenten mit der Parole „Kampf einer Wissenschaft, die fürs Kapital nur schafft“, so galt nach der Jahrtausendwende in der Öffentlichkeit die Akquise von Drittmitteln als Leistungsmerkmal einer Hochschule. So meldete die Augsburger Allgemeine Zeitung am 29.04.14; „Die Hochschule Augsburg verzeichnete 2013 die höchste Pro-Kopf-Fördersumme aus EU-Mitteln aller Hochschulen für angewandte Wissenschaften in Bayern.“ Die Fördermittelquote habe sich im Vergleich zum Vorjahr praktisch verdoppelt. Dass die Hochschullehre dabei zu kurz kommt und die Hauptarbeit auf schlecht bezahlte Lehrbeauftragte abgewälzt wird, das wird öffentlich nicht diskutiert.

Eine rein gewerkschaftliche Organisation kann die reguläre Beschäftigung für den akademischen Mittelbau nicht erreichen. Notwendig ist zusätzlich eine politische Auseinandersetzung darum, was Wissenschaft für die Gesellschaft leisten soll, welchen Wert sie hat und was sie kosten darf.

 

Wolfgang Walter, 12.11.2014

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