700 beim Globalen Klimastreik auf dem Plärrer

Fridays for Future setzt mit einer Studie, wie Deutschland bis 2035 CO2-neutral werden kann, Maßstäbe auch im Bundestagswahlkampf

Es wird wohl entscheidend sein, dass Die Linke die geforderten klimapolitischen Maßnahmen umfänglich in ihr Wahlprogramm aufnimmt und die Klimabewegung dies auch (an)erkennt

10.4.2021

Pressemitteilung von fff nach der Kundgebung
Das Ordnungsamt verhält sich obstruktiv
Der Klimastreik in Deutschland stand im Zeichen der Bundestagswahlen
Die von Fridays for Future beauftragte Studie des Wuppertal Instituts, wie Deutschland bis 2035 CO2-neutral werden kann, setzt Maßstäbe auch für den Wahlkampf
Das Wahlprogramm Der Linken in Sachen Klima ist beachtlich
Anhang 1: Rede von Janika
tick tack – Eva Weber sagt mal wieder „wir machen ja schon so viel“ – #NoMoreEmptyPromises
Anhang 2: Anonyme Rede
They only gave us rights because we gave them riots
Anhang 3: Rede von Levin
Was sind meine Handlungsoptionen in der Klimakrise?

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Im Rahmen des siebten globalen Klimastreiks fand auch in Augsburg auf dem Plärrergelände eine beachtliche Kundgebung mit 700 Teilnehmern statt. Wir bringen hier zunächst die Pressemitteilung von Fridays for Future, in der sie selbst diese Aktion einschätzen. Das Verhalten der Ordnungsbehörde muss man leider als obstruktiv bezeichnen. Der Klimastreik fand weltweit in über 50 Ländern statt, auch in Bayern soll es über 50 Aktionen gegeben haben. Deutschlandweit stand der Klimastreik im Zeichen der Bundestagswahlen. Die von Fridays for Future beauftragte Studie des Wuppertal Instituts, wie Deutschland bis 2035 CO2-neutral werden kann, setzt Maßstäbe auch für den Wahlkampf. Die zentrale Sprecherin von Fridays for Future in Deutschland, Carla Reemtsma, kann bis jetzt bei keiner Partei ein Wahlprogramm erkennen, das sich konsequente Klimaziele vornimmt. Es könnte sein, dass sie sich bei der Linkspartei täuscht. Jedenfalls sind die Maßnahmen, die die Studie des Wuppertal Instituts für die nächsten 15 Jahre vorschlägt, hart, notwendig, wissenschaftlich begründet und jetzt schon politisch umkämpft. Das Programm Der Linken zu den Bundestagswahlen ist noch im Entwurfsstadium und hätte das Potenzial, d ie Forderungen von Fridays for Future in aller Konsequenz zu formulieren. Das sollte auch Fridays for Future anerkennen beziehungsweise sich vornehmen. Denn man darf sich nichts vormachen: wenn überhaupt ein Wahlprogramm einer einflussreichen politischen Partei die Maßnahmen von Fridays for Future in aller Breite unterstützen soll, so kann das nur von der Linken stammen. Von keiner anderen Partei wäre es realistisch, so etwas zu erwarten.

 

Pressemitteilung von fff nach der Kundgebung

Das Comeback von Fridays for Future

Mail 19. März 16:08

Sehr geehrte Damen und Herren,

Anlässlich des 7. Globalen Klimastreiks fanden heute in über 50 Ländern zahlreiche kreative Protestaktionen statt. Diese waren online wie offline coronakonform gestaltet.

Auch die Demonstration in Augsburg war ein großer Erfolg: Mit 700 Teilnehmer*innen und etlichen weiteren, die online mit streikten, hat Fridays for Future am heutigen Vormittag eine Art Comeback als Auftakt für das Superwahljahr 2021 hingelegt. Schon jetzt betonen die Schüler*innen, dass das Klima in allen Wahlen eine entscheidende Rolle spielen muss. „Das bedeutet: Kein Parteiprogramm ohne Plan zur Einhaltung der 1,5 Grad-Grenze“, stellt Eva Stoffels, 16, klar, obwohl sie selbst nicht einmal wählen darf. „Wir sind nicht hier, weil die Klimakrise gefährlich ist, sondern weil wir wissen, dass es nicht so bleiben muss“, ergänzt die Schülerin zu dem deutschlandweiten Motto #allefür1komma5.

Zur Einhaltung dieser Grenze ist die Politik von großer Bedeutung.

Deswegen lautet das weltweite Motto der Streikenden: #NoMoreEmptyPromises – nie mehr leere Versprechen! „Nur politische Handlungen bringen dem Klima was. Und diese werden kommen, weil wir keine leeren Versprechen mehr zulassen!“, bekräftigt Janika Pondorf, 16, in ihrer Rede.

Bei der Umsetzung der Maßnahmen soll die Verantwortung nicht von der Politik an den*die Konsument*in abgegeben werden. „Es müssen Rahmenbedingungen geschaffen werden, damit Klimaschutz zur Norm wird und kein Privileg bleibt!“, so Levin Hasselmeyer, 18.

Insgesamt verlief die komplette Demonstration reibungslos und unter strengen, selbstauferlegten Hygienemaßnahmen. Nach einigen Änderungen fand eine Standkundgebung um 11 Uhr am Plärrer statt. „Zuerst hatten wir einen Demonstrationszug durch die Innenstadt mit dem Startpunkt Königsplatz geplant. Das Ordnungsamt war allerdings der Auffassung, dass unser Demonstrationszug nicht coronakonform sein würde, obwohl wir ein ausgeklügeltes Hygienekonzept vorgewiesen haben“, erklärte Fridays for Future Mitstreiterin Lara Sylla, 16.

Die Polizei betonte jedoch im Nachhinein die vorbildliche Einhaltung der Hygienemaßnahmen während der gesamten Kundgebung und vor allem während des vergleichsweise kleinen Demonstrationszuges vom Königsplatz zum Plärrer. „Es war für uns keine große Überraschung, dass unser Konzept aufgegangen ist. Wir haben viele Stunden an einem wirksamen Hygienekonzept gearbeitet und es schon auf einer anderen kleineren Demonstration erprobt. Außerdem kommen nur verantwortungsbewusste Menschen zu unseren Aktionen“, meinte Niclas Nickel.

Wir würden uns sehr über eine Berichterstattung über den Klimastreik in Augsburg am 19. März freuen. Auch die Berichterstattung wird am Ende darüber entscheiden, wie viel der Protest auf der Straße bewegen kann und, ob der nötige Druck für echten Klimaschutz 2021 entsteht. Für Fragen, Anmerkungen und andere Formate können Sie natürlich gerne unsere Pressesprecher*innen kontaktieren. (Kontaktdaten dazu finden Sie weiter unten.)

Fotos zur freien Verfügung für die Berichterstattung von unserer Aktion finden sie unter folgendem Link:

https://fff.richnow-edv.de

Username: FFF

Passwort: fffdateien

Bitte die Dateien der anderen nicht löschen!

Oben auf „Dateien“ klicken um Fotos herunterzuladen.

Mit freundlichen Grüßen

Fridays For Future Augsburg

--

Fridays for future Augsburg; Wir sind eine basisdemokratische, soziale Klimaschutzbewegung. Wir freuen uns über jede*n Unterstützer*in!

Presseansprechpartnerinnen für den heutigen Klimastreik:

Paula Stoffels: 01773639551

Janika Pondorf: 015734545449

Kontakt & Social Media

E-Mail: augsburg@fridaysforfuture.de

FFF Augsburg Webseite: https://www.fff-augsburg.de/

Das Ordnungsamt verhält sich obstruktiv

Die Aktion von Fridays for Future in Augsburg am 19. März wurde in der Augsburger Allgemeinen ganz ordentlich gewürdigt. Gestützt auf dpa nahm die Zeitung auch Aktionen in ganz Bayern in den Blick ( 1 ). 50 Aktionen sollen allein in Bayern geplant gewesen sein, darunter auch eine größere Fahrrad-Demo in Nürnberg und ansehnliche Aktionen in Erlangen, Bamberg, Aschaffenburg und Würzburg. Einen zunächst geplanten Demonstrationszug von Fridays for Future Augsburg durch die Innenstadt genehmigte die Ordnungsbehörde nicht, weil der Demonstrationszug angeblich nicht koronakonform sein würde. Dabei war das Hygienekonzept von Fridays for Future ausgeklügelt und perfekt. Nimmt man in Betracht, dass das Ordnungsamt und die Polizei legale und illegale Demonstrationen und Kundgebungen der Coronaleugner hinn ehmen , bei denen weder Mindestabstände noch Maskenpflicht eingehalten werden, – so muss man leider konstatieren, dass hier mit zweierlei Maß gemessen wird.

Es ist schon ein Skandal, wie die Ordnungsbehörde und die Polizeiführung Coronaleugner, Verschwörungstheoretiker und Rechtsradikale ungeniert auftreten lassen, auch wenn sie die Regeln nicht einhalten, und sich gegenüber einer verantwortungsbewussten Jugendbewegung derart schikanös verhalten. Nachdem das Ordnungsamt den ursprünglich geplanten Demonstrationszug durch die Innenstadt auf eine stationäre Kundgebung auf dem entlegenen Plärrer Gelände reduziert hat, war das Amt nicht einmal bereit oder in der Lage, einen Teil des Geländes von parkenden Autos freizuhalten für die Kundgebung. Von der Zahl her hätte man das Park & Ride ohne weiteres auf einen Teil des Geländes verweisen können und den Rest für die Kundgebung freihalten. Für die Veranstalter von Fridays for Future war es eine regelrechte Provokation, dass sie, die für eine autofreie Innenstadt eintreten, sich für die Kundgebung zwischen parkenden Autos verstreuen mussten. Aber, wenn es darum geht, Fridays for Future zu schikanieren, lässt die Stadtverwaltung wohl nichts aus.

Der Klimastreik in Deutschland stand im Zeichen der Bundestagswahlen

Die Aktivist_innen von Fridays for Future bringen in ihren Reden (siehe die 3 Anhänge am Ende dieses Artikels ) zum Ausdruck, dass sie keine leeren Versprechungen mehr akzeptieren werden und drohen eine Radikalisierung der Bewegung an. Sie wollen sich massiv in den Bundestagswahlkampf einmischen. Die Mitbegründerin der Jugendklimabewegung Fridays for Future (FFF) in Deutschland, Carla Reemtsma, sagte gegenüber Klimareporter ( 2 ):

„Die Corona-Themen bestimmen derzeit die Politik und unseren Alltag. Trotzdem ist Klima auch nach einem Jahr Pandemie gesellschaftlich eine zentrale Herausforderung. Das hat man gerade bei den Wahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz gesehen. In den Nachwahl-Umfragen war Klima ganz vorne bei den wichtigen Themen dabei. (…)

Wir fordern von allen Parteien, dass sie den Paris-Vertrag ernst nehmen. Den hat der Bundestag schließlich mit breiter Mehrheit ratifiziert. Und um die notwendigen Maßnahmen umzusetzen, brauchen wir parteiübergreifende Mehrheiten.

Die SPD hat gerade die Gespräche mit der Union über die Ökostrom-Förderung  gestoppt . Sie fordert Aufklärung über mögliche Lobbyverstrickungen der beteiligten CDU- und CSU-Abgeordneten. Ein richtiger Schritt?

Das aufzuklären ist nun wirklich überfällig. Die Nichtregierungsorganisation  Lobbycontrol hat gerade  auf die Verbindungen der Industrie zum einflussreichen CDU-Wirtschaftsrat hingewiesen, der Klimaschutz verhindert.

Aber selbst die Grünen unterschreiben nicht alle Ihre Forderungen, zum Beispiel einen Umstieg auf 100 Prozent erneuerbare Energien bis 2035 …

Unsere Forderungen stehen, sie sind  aus der Klimaforschung  abgeleitet und zeigen auf, was nötig wäre, damit Deutschland einen gerechten Beitrag zur Einhaltung der 1,5-Grad-Grenze leistet.

Trotzdem: Welche Koalition wäre die beste?

Wir lassen uns nicht auf Farbspiele ein. Stand heute hat keine einzige Partei ein 1,5-Grad-konformes Wahlprogramm, sodass jede Grundlage für einen an Paris orientierten Koalitionsvertrag fehlt. Deswegen protestieren wir ja auch im Wahljahr besonders.“

Die  Klimalisten  von FFF-Aktivisten, die bei den jüngsten Landtagswahlen antraten, hatten nur  geringe  Resonanz. Waren sie ein Fehler? Zumal sie im Zweifel den Grünen Stimmen wegnehmen.

Das behaupten die Grünen, ist aber nicht ausgemacht. Die Grünen lenken damit eher davon ab, dass auch sie den Wählern  kein Angebot  machen, das dem 1,5-Grad-Ziel entspricht.

Sollte eine Klimaliste auch zur Bundestagswahl antreten?

Es ist noch unklar, ob es eine Klimaliste geben wird. Grundsätzlich bin ich der Überzeugung, dass es parteiübergreifend konsequente Klimapolitik braucht und diese Aufgabe nicht auf eine einzelne Liste ausgelagert werden kann.“

Die von Fridays for Future beauftragte Studie des Wuppertal Instituts, wie Deutschland bis 2035 CO2-neutral werden kann, setzt Maßstäbe auch für den Wahlkampf

Carla Reemtsma bezieht sich hier im Interview auf eine aktuelle Studie, mit der Fridays for Future das Wuppertal Institut beauftragt hat ( 3 ). Die Studie zeigt, wie Deutschland in 15 Jahren CO2-neutral werden kann. Es könnte gelingen, aber es wäre ein enormer Kraftakt. Klimareporter schreibt hierzu ( 4 ): „Eigentlich wollte Fridays for Future keine eigenen Vorschläge machen, wie die Klimakrise abgemildert werden kann. Doch weil die Politik aus Sicht der Protestbewegung nur unzureichende Maßnahmen im Blick hat, hat sie heute selbst eine Untersuchung vorgelegt, wie das 1,5-Grad-Ziel noch erreicht werden kann.“

Laut dieser Studie, die im Oktober 2020 vorgelegt wurde, sind in den verschiedenen Bereichen schwerpunktmäßig die folgenden Maßnahmen notwendig ( 5 ):

„Das Ergebnis: Deutschlands Emissionen müssen jedes Jahr um 60 bis 70 Millionen Tonnen CO2 zurückgehen. Das sind Größenordnungen, die in der Vergangenheit nur in Wirtschaftskrisen verzeichnet wurden. …

Für die Wirtschaftssektoren listet die Studie viele verschiedene Einzelmaßnahmen auf. Die Energiebranche ist dabei ein Schlüsselbereich. Jedes Jahr sollen neue Wind- und Solaranlagen mit einer Gesamtkapazität von 25.000 bis 30.000 Megawatt installiert werden. ‚Das ist drei- bis viermal so viel, wie es die Bundesregierung anstrebt‘, erläutert Annika Tönjes vom Wuppertal-Institut, die ebenfalls an der Studie beteiligt war.

Fu¨r die Produktion von ‚grünem‘ Wasserstoff muss laut Studie bis 2035 eine sieben- bis neunmal so hohe Kapazität an Elektrolyseuren bereitstehen, wie es die Regierungspläne mit 10.000 Megawatt vorsehen. Zudem soll die Verstromung von Kohle bis 2035 vollständig eingestellt werden.

Äußerst anspruchsvoll sind die Pläne für den Gebäudebestand. Hier soll die Quote bei der energetischen Sanierung auf vier Prozent geschraubt werden. Bislang wird pro Jahr gerade mal ein Prozent der Bestandsgebäude energetisch saniert. ‚Die Höhe ist beispiellos‘, sagt auch Forscherin Tönjes. Die Regierung will die Quote lediglich verdoppeln.

Für Wärme in den Häusern sollen künftig zu einem Großteil elektrische Wärmepumpen sorgen. Zudem soll die Wohnfläche pro Kopf verringert werden.

Auch im Verkehr sind drastische Veränderungen notwendig, um die hohen Emissionen aus Pkws, Lkws und Flugzeugen zu senken. Im Szenario der Studie wird dabei der Autoverkehr halbiert und die ÖPNV-Nutzung verdoppelt.

In Städten soll nur noch ein Drittel des heutigen Pkw-Bestands rollen – City-Maut, Tempolimit und die Reduzierung von Fahrspuren und Parkplätzen sollen die Zahl der Autos senken.

Knapp ein Drittel des Lkw-Verkehrs soll auf die Bahn verlagert werden. Inlandsflüge sollen eingestellt werden.

Extrem herausfordernd wird es auch, die Prozess-Emissionen der Industrie CO2-neutral zu stellen, meint Studien-Hauptautor Georg Kobiela vom Wuppertal-Institut. Die wasserstoffbasierte Stahlherstellung sei aber möglich – wenn jetzt die notwendigen Infrastrukturen wie Wasserstoffpipelines geschaffen würden.

Den Umbauprozess der Industrie könnte ein ausreichend hoher CO2-Preis unterstützen. ‚Ein Preis von 180 Euro würde zumindest in Teilen die ökonomische Wahrheit sprechen‘, sagt Kobiela. Sogenannte ‚Carbon Contracts for Difference‘ sollen verhindern, dass die Industrie wegen Klimaschutzauflagen aus Europa abwandert.

Für die Landwirtschaft macht die Studie keine Vorschläge. Mitautor Fischedick sieht darin kein so großes Problem: ‚Unser Untersuchungsziel war CO2-Neutralität, damit decken wir 88 bis 90 Prozent der Treibhausgasemissionen ab.‘ Allerdings müssten auch die anderen Treibhausgase wie Methan und Lachgas parallel zum CO2 reduziert werden.

Die Studie schafft aus Sicht von Carla Reemtsma von Fridays for Future eine Grundlage für eine ‚ehrliche Debatte‘: ‚Alle demokratischen Parteien bekennen sich zum Paris-Abkommen, und doch hat keine einzige Partei Klimapläne entwickelt, die kompatibel mit dem 1,5-Grad-Ziel sind‘, sagt die Klimaaktivistin.

Der Anspruch von Fridays for Future sei es, dass zur Bundestagswahl alle demokratischen Parteien ein Paris-kompatibles Programm vorlegen. Reemtsma: ‚Es reicht nicht mehr, sich zu Paris zu bekennen und am Ende nur ideologische Debatten über Ge- und Verbote zu führen.‘“

Man muss sich diese hier geforderten Maßnahmen durch den Kopf gehen lassen. Was sie in letzter Konsequenz bedeuten, bundesweit aber auch regional und lokal. Kann man überhaupt ermessen, welche radikale Konversion damit angestoßen wird und welche Folgen das für die gesamte Gesellschaft hat?

Das Wahlprogramm Der Linken in Sachen Klima ist beachtlich

Carla Reemtsma sieht in der Studie eine Grundlage für eine ehrliche Debatte. Es fragt sich aber, ob sie ganz ehrlich ist, wenn sie behauptet, keine einzige Partei hätte Klimapläne entwickelt, die kompatibel sind mit dem 1,5-Grad-Ziel. Im Programmentwurf Der Linken finden sich immerhin 18 Seiten zum Thema „Ökologischer und sozialer Systemwechsel: Für einen LINKEN Green New Deal“ ( 6 ).

Die Linke fordert in ihrem Programmentwurf ein „grundlegendes Umsteuern“: „In den nächsten zwei Jahrzehnten müssen wir den Umbau zu einer weitgehend CO2-freien, energie- und ressourcen-sparenden Wirtschaft und Infrastruktur schaffen, um überhaupt die Chance zu haben, das 1,5 Grad-Ziel bei der Begrenzung der Erderwärmung noch zu erreichen. Wachsende Ungleichheit und die Macht großer Konzerne stehen diesen Vorhaben im Weg. Viele Menschen wissen, dass es so nicht weitergehen kann. …“

Mit einer sozial-ökologischen Investitions-Offensive will Die Linke zum Beispiel die Kommunen und Regionen reorganisieren: „Die Infrastruktur in vielen Kommunen und Regionen wurde kaputtgespart. Es mangelt an Einrichtungen, Dienstleistungen und Personal. Das betrifft besonders gering verdienende und ältere Menschen und führt im Alltag bei Vielen zu Stress. Mit einer sozial-ökologischen Investitions-Offensive wollen wir das ändern. Wir wollen gute Dienstleistungen und öffentliche Angebote für gute Arbeit schaffen – inklusiv, demokratisch und gemeinwohlorientiert. Wir setzen dabei auf eine erneuerbare Energie- und Mobilitätswende für ökologische und bezahlbare Energieversorgung und Mobilität für alle. Auf Investitionen in bezahlbare, energieeffiziente Wohnungen, die von gut bezahlten Beschäftigten gebaut werden. Auf einen klimaneutralen Umbau der Kommunen, der wohnortnahe Versorgung, funktionierende Infrastruktur und mehr Lebensqualität ermöglicht.“

Für die Industrie fordert Die Linke nicht weniger als ein „anderes Produktionsmodell“: „Die produktive Arbeit und das Wissen der Beschäftigten in der Industrie ist eine unverzichtbare Grundlage für ein sozial gerechtes und klimagerechtes Wohlstandsmodell der Zukunft. Zugleich brauchen wir ein anderes Produktionsmodell, das nachhaltige Lebensweisen und hohe Lebensqualität für alle ermöglicht. Eine Produktion, die auf Rüstungsgüter und teure Eigentumswohnungen setzt, die Autos mit immer mehr PS, Energie- und Ressourcenverbrauch baut hat ebenso wenig eine Zukunft wie die Herstellung von Wegwerfprodukten (z.B. Elektro- und IT-Geräte mit wenigen Monaten Haltbarkeit).“

Nach Auffassung Der Linken muss ein sozial-ökologisches Investitions- und Zukunftsprogramm beinhalten: mehr Personal in Pflege und Gesundheit, gute Bildung für alle, Neustart im sozialen und gemeinnützigen Wohnungsbau, erneuerbare Energiewende, Mobilitätsrevolution, starke Kommunen mit klimaneutraler, sozialer Infrastruktur für ein besseres Leben, Rettungsschirm für Industriearbeitsplätze, Green New Deal in Europa.

Speziell was die „Industriearbeitsplätze mit Zukunft“ angeht, fasst Die Linke auch einen Prozess der Rüstungskonversion ins Auge, was Fridays for Future leider nicht tut – zumindest nicht in der neuen Wuppertal Studie. Aber auch führende Sprecher_innen der deutschen Bewegung von Fridays for Future wollen von einer Kritik der Rüstungsproduktion und einer Kritik des Ressourcenverbrauchs des Militärs nichts wissen. ( 7 ) Dies ist bedauerlich und sicher nicht die Position des Augsburger Klimacamps.

Die Linke bemüht sich auch, für die anstehende Transformation der Wirtschaft Prinzipien zu formulieren oder zu finden, damit diese Transformation nicht in einer Katastrophe für die Beschäftigten beziehungsweise die lohnabhängige Klasse endet. Zu diesen Prinzipien zählt, dass Staatsgelder, die hier notwendigerweise zum Einsatz kommen müssen, an strikte Bedingungen und Auflagen geknüpft werden. Ein weiteres wichtiges Prinzip ist die Erweiterung der Mitbestimmung auch auf Standortentscheidungen und Investitionsentscheidungen. Dabei geht Die Linke, wie es sich für eine linke Partei gehört, durchaus in eine sozialistische Richtung mit massiven Staatseingriffen und radikaler Ausweitung von Belegschafts- und Gewerkschaftsrechten:

„Unser Ziel ist es, dass die Industrie bis 2035 weitgehend CO2-neutral und energie-effizient produziert und die Industriestruktur in Deutschland unabhängiger vom Export von Autos, Waffen, Sicherheitstechnik und umweltschädlichen Formen der Chemieproduktion wird. Wir wollen mit Gewerkschaften zusammen einen Prozess der Rüstungskonversion auf den Weg bringen und sinnvolle Arbeitsplätze für die Beschäftigten schaffen (vgl. Kapitel Frieden). Für eine neue Industriepolitik muss das Prinzip gelten: Es dürfen keine Arbeitsplätze verlagert werden, bevor nicht neue, gleichwertige Arbeit geschaffen wurde. Umgekehrt müssen neue Industrieanlagen so ausgerichtet sein, dass bis spätestens 2040 weitgehend CO2-frei und klimaneutral produziert werden kann.

Wir fordern statt Subventionen für Aktionärs-Renditen einen Rettungsschirm für Industriearbeitsplätze , der für sichere und sinnvolle Arbeit in der Zukunft sorgt:

•  Keine Steuergelder ohne Gegenleistung – staatliche Gelder (egal ob direkte Hilfszahlungen oder versteckte Subventionen) müssen an langfristige Garantien von Arbeitsplätzen, Tarifverträgen und an verbindliche Investitionspläne gebunden werden, um den notwendigen ökologischen Umbau der Produktion voranzutreiben, Planungssicherheit und sichere Einkommen für die Beschäftigten zu garantieren.

 Veto-Rechte gegen Kahlschlag, Mitbestimmung über die Zukunft. Die Belegschaften müssen bei Entscheidungen über Standortverlagerungen, -schließungen und -auslagerungen, bei Massenentlassungen und bei Entscheidungen über Zukunftsinvestitionen mitbestimmen! Betriebsräte müssen auch in wirtschaftlichen Fragen ein Mitbestimmungsrecht bekommen und alle wichtigen Unternehmensentscheidungen von Belegschaftsversammlungen bestätigt werden.

 Die Bundesregierung muss, zusammen mit den Belegschaften, den Gewerkschaften, Wissenschaft, Umwelt- und Sozialverbänden einen verbindlichen Zukunftsplan für die Industrie entwickeln, der für eine CO2-neutrale Industrieproduktion bis spätestens 2040 sorgt und mit Arbeitsplatz- und Einkommensgarantien für die Beschäftigten verbunden ist. Die Industriekonzerne müssen verpflichtet werden, diesen Umbau in die Wege zu leiten – sie sind gemäß dem Grundgesetz auf das Gemeinwohl zu verpflichten. Bei der Finanzierung der ökologischen Modernisierung der Produktion, wollen wir die Konzerne und Aktionäre in die Pflicht zu nehmen. Zur Erinnerung: alleine Daimler, VW und BMW hatten im vergangenen Jahr Gewinnrücklagen in Höhe von knapp 180 Milliarden Euro. (…)“

Dies sind nur einige wenige Auszüge aus dem Wahlprogramm der Linken. Wir hoffen aber, damit angeregt zu haben, sich mit diesem Wahlprogramm näher zu befassen. Natürlich kann man jetzt auch schon die Wahlprogramme oder Programmentwürfe aller anderen Parteien damit vergleichen ( 8 ). Vor allem aber kann man, wenn man will, noch Einfluss nehmen auf den Entwurf Der Linken, der erst auf dem Bundesparteitag am 19. und 20. Juni abschließend entschieden werden soll. ( 9 )

Die oben zitierte Aussage von Carla Reemtsma „… und doch hat keine einzige Partei Klimapläne entwickelt, die kompatibel mit dem 1,5-Grad-Ziel sind …“ ist sowieso unhaltbar. Denn sie sagt ja damit nicht, dass die Klimaziele der Parteien nicht ausreichend seien, um das 1,5° Ziel zu erreichen, sondern sie sagt, dass die Klimapläne aller Parteien nicht kompatibel mit dem 1,5° Ziel seien. Diese Aussage ist – zumindest was das Wahlprogramm Der Linken betrifft – doch ziemlich daneben und eigentlich eine Frechheit.

Einer der Redner beim Klimastreik in Augsburg sprach vom „Versagen der Klimapolitik, gepaart mit konservativen Repressionstaktiken und vollkommen lächerlichen und falschen Versprechen“ (siehe Anhang 2: Anonyme Rede ). Er zog daraus den Schluss, dass es dann wohl oder übel Zeit für radikalere Aktionen sei. Es wäre aber wahrscheinlich eine Sackgasse für Fridays for Future, wenn sie aus Frust über mangelnde politische Wirksamkeit sich jetzt aus reinem Trotz radikalisiert. Wahrscheinlich wartet die bürgerliche Staatsgewalt nur auf so eine Reaktion, um die Bewegung niederzumachen. Was gut wäre: die Parteien jetzt im Wahlkampf zu zwingen, ausführlich zu den Maßnahmen der Klimastudie des Wuppertal Instituts Stellung zu nehmen – Punkt für Punkt. Die Antworten der Parteien müssten ausgewertet und öffentlich bewertet werden, sodass klar wird, wer im Sinne der Klimaziele wählbar ist und wer nicht. Vielleicht sollte man dabei von den Direktkandidat_innen nicht nur Aussagen verlangen, für welche bundespolitischen Maßnahmen sie sich einsetzen, sondern auch für welche landespolitischen und und für welche kommunalpolitischen Maßnahmen sie in ihrem jeweiligen Wahlkreis sind.

Peter Feininger, 10. April 2021


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Anhänge

Anhang 1: Rede von Janika

tick tack – Eva Weber sagt mal wieder „wir machen ja schon so viel“ – #NoMoreEmptyPromises

Im Folgenden werde ich die Folgen der Klimakrise, Zeitdruck, innere Verzweiflung und Angst thematisieren. Wenn das für dich kritische Themen sind, dann höre am besten nicht zu, vielleicht kannst du auch für die nächsten Minuten den Platz verlassen. Und wenn du merkst, dass es dir auf Dauer nicht gut damit geht, hole dir auf jeden Fall professionelle Unterstützung!

Tick – tack – die CO2-Uhr tickt – tick – tack – tick – tack – uns läuft die Zeit davon – tick – tack – mein Kopf wird immer lauter, droht zu platzen – tick – tack

Bin ich eigentlich die Einzige, die dieses Ticken komplett verrückt macht? Ich will ja was tun, aber mit diesem Zeitdruck komme ich überhaupt nicht klar. Zum Ticken in meinem Kopf, kommt ein Rieseln dazu. Ich blicke auf die riesige Sanduhr, die neben mir steht, zumindest sehe ich sie ganz klar vor mir. Aaaaahhhhh, es macht mich wahnsinnig, wie der Sand so sanft rieselt, als wäre nichts, als ginge es um nichts. Dabei geht es um nichts Geringeres als unsere Zukunft. Es geht um Leben und Tod. Es geht um Überflutungen, Dürren, Fluchtbewegungen, Wohnungsknappheit, Lebensmittelknappheit, gar Hungersnöte und Wasserknappheit, es geht um Milliarden Menschenleben. Das ist wissenschaftlicher Fakt. „Wow, ist das mittlerweile ausgelutscht“, höre ich in der Schule von meinen Mitschüler*innen. Und überhaupt, „wer jetzt noch über das Klima spricht, ist sowieso voll uncool“. In deren Haut möchte ich stecken, nicht diese Angst spüren zu müssen. Nicht ständig das Gefühl haben zu müssen, dass es eh schon zu spät ist, dass wir nichts mehr ändern können. Denn die Uhr tickt, die Zeit, in der wir noch etwas ändern können, geht langsam aber sicher immer weiter verloren. Wir dürfen keine Zeit mehr verlieren. Müssen JETZT was tun. Bitte, mach doch jemand was!?!?!?! Und ich weiß, dass ich diejenige sein muss, die etwas verändert. Tick – tack – tick – tack – ich organisiere mit meinen Mitaktivisti*innen einen Klimastreik – tick – tack – noch einen, noch zwei, alle zwei Wochen einen Neuen. Tick- tack – ich halte mit Sarah und Leon eine Rede im Umweltausschuss, fühle mich großartig, wir haben abgeliefert – tick – tack – die Politiker*innen bringen immer noch dieselben dummen und unwissenschaftlichen Ausreden. „Wir sollen selber in die Politik gehen“ – tick – tack – ich bin derzeit 15 Jahre alt – haha, in die Politik gehen – tick – tack. Ich plane mit ein paar anderen immer noch ständig neue Demos – tick – tack – wir sind alle völlig überarbeitet, können nicht mehr, aber müssen, weil… – tick – tack.

Und dann kommt eine Pandemie, die Welt scheint stillzustehen. Und was macht mein Kopf? Tick – tack. Das CO2-Restbudget wartet nicht. Wir können jetzt nicht das Klimathema pausieren. Wir müssen Kippunkte verhindern, die das Klima unumkehrbar verändern und zu den Folgen führen, die vielen von uns das Leben kosten werden. Tick – tack – wir machen einen Onlinestreik – tick – tack – die erste Präsenzdemo mit sehr starken Auflagen – tick – tack – Aaaahhhhh, jetzt bin ich 16 und darf immer noch nicht mal wählen. Aber simma mal ehrlich, ich wüsste auch nicht, wen, denn keine Partei, auch nicht die Grünen, liefert ausreichende Klimapolitik. Eigentlich möchte ich selber in die Politik – tick – tack – aber die Zeit rennt mir und uns allen davon, dafür „bin ich nämlich auch zu unreif“, schon klar. Tick – tack – ich blicke hektisch auf die Sanduhr neben mir. Ein riesiger Berg an Sand erstreckt sich über den Boden der Sanduhr, ich bekomme Angst, oben drin ist nur noch so verschwindend gering. Tick – tack – Wir organisieren ein Klimacamp – tick – tack – das zerstörerische KohleVERLÄNGERUNGSgesetz wird trotzdem beschlossen. – tick tack – Eva Weber sagt mal wieder „wir machen ja schon so viel“ und tick tack es ist halt trotzdem bei weitem nicht genug.

Ich breche unter dem Ticken zusammen. Ich kann nicht mehr. Ich will nicht mehr. Was soll denn das, dass wir – als Kinder und Jugendliche, vielleicht noch junge Erwachsene – uns komplett eigenständig um unsere eigene Lebensgrundlage kümmern müssen, während die Politik sich jeden Scheiß erlaubt?! Ich liege weinend am Boden, höre das Ticken immer lauter werden und will nie wieder aufstehen. Es wäre schon verdammt einfach, die Klimakatastrophe einfach zu leugnen und sich um das alles keine Gedanken mehr machen zu müssen.

Tick – aber halt, so kann das ja nicht weitergehen! Ich habe Angst und die ist auch berechtigt, weil wir sind in einer Scheißsituation sind, die für die ganze Menschheit gefährlich ist. Aber es ist eben noch nicht zu spät, wir haben jetzt noch die Chance, alles umzudrehen. Und gerade diese Angst um all das, was wir zu verlieren haben, gibt uns die Kraft, so zu kämpfen. Mit einer Kraft, die mit keiner anderen vergleichbar ist. Denn der Kampf um das Leben, der ist stark. Es ist okay, wenn wir manchmal überfordert sind. Solange wir dann wieder die Kurve kriegen und weiter machen. Denn dem Klima hilft unsere Verzweiflung nicht. Was dem Klima aber hilft, ist, wenn wir uns hier versammeln, Druck auf die Politik ausüben und dann die politischen Handlungen, die kommen werden, weil wir nichts anderes zulassen werden. Wir geben uns mit leeren Versprechungen nicht mehr zufrieden. Unser globaler Hashtag ist #NoMoreEmptyPromises, die ganze Welt macht sich gerade stark, wir sind überall und wir alle kämpfen! Denn wir sind #AlleFür1Komma5!

Dankeschön!

Anhang 2: Anonyme Rede

They only gave us rights because we gave them riots

Hallo.

Damals, in den 1960er Jahren haben Wissenschaftler*innen erstmals zum menschgemachten Klimawandel publiziert, doch es hat noch niemanden so richtig interessiert – nicht mal die Wissenschaftler*innen selbst, man konnte damals auch noch nicht die tatsächlichen Ausmaße dieser Krise vorhersehen.

Weiter geforscht wurde trotzdem und seit mindestens 25 Jahren ist eigentlich allen klar, dass dringend etwas passieren muss. Neben regelmäßigen Appellen, Plänen, Strategievorschlägen und dringenden Bitten angesichts der Klimakatastrophe durch Klimawissenschaftler*innen, Philosoph*innen, Zukunftsforscher*innen, Ökolog*innen, Sozialwissenschaftler*innen usw. Gab es auch Ideen für politische Maßnahmen zur Vermeidung oder Bekämpfung der Klimakrise, beispielsweise die Agenda 21 oder die Pariser Klimaziele.

Welche wurden umgesetzt oder werden ernsthaft verfolgt? Keins. Gar keins.

Die Tatsache, dass wissenschaftliche Erkenntnisse so wenig Berücksichtigung durch die herrschenden Strukturen finden, ist enorm enttäuschend und zeigt den einzigen Wert, nach dem in unserer Welt Entscheidungen getroffen werden: finanzieller Mehrwert. Alle Industriestaaten, deren Verantwortung angesichts der Klimakrise besonders hoch ist, sind zu eng mit dem Kapitalismus verflochten, um sozialverträgliche und zukunftsfähige Entscheidungen aus deren reinem Selbstzweck zu treffen.

Dass deshalb eine Bewegung aus „unseriösen“ und „unerfahrenen“ Kindern und Jugendlichen als Sprachrohr der Wissenschaft herhalten muss, ist nicht Beweis von deren Arroganz oder Aufmüpfigkeit, sondern spiegelt unsere existenziellen Sorgen vor einer vollkommen dystopischen Zukunft wider.

Es ist eine Dreistigkeit, dass diejenigen in den Machtpositionen unserer sogenannten Demokratie uns weder ernst- noch wahrnehmen.

Eine respektable Form der Demokratie würde sich dazu verpflichten, im Interesse der Wähler*innen, des „Volkes“, zu handeln und dementsprechend eine bewohnbare Zukunft zu sichern.

Stattdessen werden bisher alle höherschwelligen Forderungen ignoriert oder – trotz realistischer Lösungsansätze in allen Bereichen – als Unfug abgetan.

Ganz nebenbei steigt auch die staatliche Repression nicht nur gegen staatsablehnende linksautonome Klimagerechtigkeitsaktivisti wie z um Beispi el i m Dannenröder Forst, sondern auch gegen quasi staatstragende FFF-Demonstant*innen unv erhältnismäßig.

Und: Fast niemand von uns ist alt genug ist, um bisher an politischen Entscheidungen, geschweige denn einer aktiven Mitgestaltung des gesellschaftlichen Systems beteiligt gewesen zu sein, trotzdem werden wir und die nachfolgenden Generationen die Folgen der verschissenen Klimapolitik (und Sozial-, Bildungs- und Wirtschaftspolitik) der letzten Jahrzehnte zu tragen haben.

Darüber hinaus sind wir es aus den oben genannten – guten – Gründen auch einfach völlig leid, uns der Politik ständig als Bittsteller zu präsentieren und dafür Zugeständnisse zu erhoffen, statt derer wir nahezu nichts als Verleumdungen und Ignoranz bekommen.

Ausflüchte sind an der Tagesordnung – die langen, ergebnisarmen Prozesse gehören halt zu einer Demokratie dazu, man solle das doch lieber den Experten überlassen oder wir wüssten ja gar nicht, wie das alles funktioniert.

Wir müssen uns anhören, wir seien arrogant, doch viel Schlimmeres als nur Arroganz steckt in denjenigen, die sich nur aufgrund ihres Alters oder ihrer Privilegien für fähiger halten und dennoch keine Visionen haben, geschweige denn umsetzen.

Trotzdem sind diese Leute die, bei denen in unserer Welt derzeit die Macht für Entscheidungen liegt, und wenn sie uns nicht zuhören, liegt das nicht daran, dass wir nichts zu sagen hätten.

Die Sorge darüber, dass sich junge Menschen von Linksextremen radikalisieren lassen, ist dem Staat sehr wichtig und dient als Legitimation, unseren Protest zu kriminalisieren, doch was viele Aktivisti aus der Klimagerechtigkeits- und anderen sozialen Bewegungen tatsächlich so gegen „unseren“ Staat radikalisiert, ist viel mehr das Versagen der Klimapolitik gepaart mit konservativen Repressionstaktiken und vollkommen lächerlichen und falschen Versprechen.

Wenn sie uns nicht hören, scheint das daran zu liegen, dass wir zu leise sind.

Wenn legale Massendemonstrationen, Gespräche, mediale Berichterstattung, regelmäßige aktivistische Burnouts und Depressionen über zwei Jahre keinerlei ansatzweise zufriedenstellende Reaktion der politischen Entscheidungsträger nach sich ziehen, dann wird es wohl oder übel Zeit für radikalere Aktionen.

They only gave us rights because we gave them riots.

Eine lebenswerte Gesellschaft erfordert das radikale Streben nach Gerechtigkeit und Klimagerechtigkeit ist erforderlich für eine lebenswerte Welt.

Anhang 3: Rede von Levin

Was sind meine Handlungsoptionen in der Klimakrise?

Hallo,

mir wurde oft die Frage gestellt: „Was kann ich eigentlich gegen die Klimakrise tun?“

Ich freue mich meistens über die Frage und wenn man sie mal etwas genauer analysiert, vermittelt sie auf drei Ebenen Informationen:

  1. Die Klimakrise wird als Problem anerkannt und die Person merkt, dass er*sie selbst aktiv werden kann. Das ist ein super wichtiger Schritt, über den ich mich freue.

  2. Die Lösungsansätze fehlen und das wirkt hinderlich

  3. „Ich“. Ich kann etwas tun. Das ist eine wichtige Erkenntnis, aber gleichzeitig wird die Klimakrise auf die individuelle Ebene verlagert. Das Problem jedoch liegt hauptsächlich im System. Und wir müssen diese Klimakrise nicht alleine angehen, sondern wir können es nur gemeinsam schaffen!

Nichtsdestotrotz gibt es individuelles Verhalten, das sehr schädliche Auswirkungen hat auf diesen Planeten und damit auf uns. Daher greife ich die fehlenden Lösungsansätze auf. Nicht alle Ansätze sind für alle gleich gut geeignet und nicht alle sind unbedingt so sinnvoll, aber es gibt mehrere Bereiche, in denen wir ansetzen können.

Mobilität (wie komme ich von a nach?)

Klar ist, Auto und Flugzeug sind ziemlich scheiße. Alternative Fortbewegungsmittel sind zum Beispiel die Bahn, das Fahrrad oder das E- A uto, auch Carsharing ist eine Möglichkeit.

Mobilität ist aber auch immer eine Frage des Geldes und des Platzes. Und leider auch eine Frage der Verfügbarkeit. Nicht überall gibt es öffentlichen Nahverkehr. Wo hier die Prioritäten der Bundesregierung liegen, ist leider mehr als deutlich. So sollen noch ca. 850 km Autobahn gebaut werden. Im Vergleich dazu: 30 km Bahnschienen werden noch geplant.

Der nächste große Bereich ist die Ernährung und auch hier gibt es strukturelle Probleme. Gleichzeitig ist es ein sehr komplexes Thema, das etliche Bücher füllt, daher gehe ich nur ganz kurz auf ein paar Basictipps ein:

Kein Fleisch, weniger Tierprodukte, vor allem Milch, kein Palmöl, möglichst unverpackt.

Übrig bleiben hier vor allem noch regionales und saisonal Gemüse und Obst, sowie Hülsenfrüchte.

Auch noch super wichtig ist, Essensabfälle möglichst komplett zu vermeiden.

Darüber hinaus gibt es weitere Tipps:

Der Wechsel zu einer grünen Bank, Ökostrom beziehen, weniger und bewussterer Konsum, Strom und Energie sparen, Müll vermeiden.

All das sind nützliche Tipps, jedoch müssen wir uns bewusst machen, das es die perfekte Lebensweise nicht gibt und all das umzusetzen sehr viel Kraft und Zeit in Anspruch nimmt.

Der „grüne Lebensstil“ ist zudem noch ein sehr privilegierter. Einfache Konsumkritik kann uns aber nicht retten.

Wir brauchen veränderte Rahmenbedingungen, damit Klimaschutz zur Normalität wird und keine Ausnahme bleibt. Warum ist das Standartverkehrsmittel das Auto? Warum braucht es Ökostrom, wenn die Bundesregierung einfach gleich fossile Energien verbannen könnte. Warum gibt es immer noch Massentierhaltung?

Um diese großen Themen anzugehen ist es wichtig, anzufangen. Und da ist es vergleichsweise leicht, sein eigenes Verhalten zu reflektieren und zu verändern. Und das zu tun ist auch wichtig. Aber es reicht nicht.

Nötig ist ein gesellschaftlicher und politischer Wandel, anders kommen wir gegen diese Krise nicht an!

Und auch an diesem Punkt können wir aktiv werden. Wir müssen uns bewusst machen, dass wir eine Rolle spielen im politischen und gesellschaftlichen Umfeld, das über einmal in vier Jahren eine Stimme abgeben, hinausgeht.

Sei es, dass wir Petitionen unterschreiben oder auf Demonstration gehen. Oder, dass wir direkt mit Politiker*innen reden und Bürger*innensprechstunden wahrnehmen.

Und all das müssen wir gemeinsam tun. Schaut euch um und stellt euch vor, was all diese Menschen heute hier auf diesem Platz für eine Macht haben.

Und macht die Veränderung sichtbar. Redet mit Nachbar*innen, Kolleg*innen, Bekannten und Freund*innen über die Klimakrise.

Und lasst uns gemeinsam weiter auf die Straße gehen und den politischen Druck noch weiter erhöhen.

Und lasst uns gemeinsam anfangen oder weitermachen, es liegt noch ein sehr weiter Weg vor uns, aber gemeinsam sind wir stark und gemeinsam können wir das schaffen!!!

Danke

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1 Augsburger Allgemeine 20.3.2021

2 klimareporter°. „‚Die Streiks sind nötig‘ Klimaprotest trotz Corona“, 19. März 2021. http://www.klimareporter.de/protest/die-streiks-sind-noetig .

3 Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie gGmbH, Herausgeber und Georg Kobiela Projektleiter. „CO2-neutral bis 2035: Eckpunkte eines deutschen Beitrags zur Einhaltung der 1,5-°C-Grenze. Bericht. Wuppertal, Wuppertal Institut“. Fridays for Future, 2020.10. https://fridaysforfuture.de/wp-content/uploads/2020/10/FFF-Bericht_Ambition2035_Endbericht_final_20201011-v.3.pdf .

4 Kirchner, Sandra. „Fridays for Future legt Studie vor: Klimaschutz vom Ziel her gedacht“. klimareporter°, 13. Oktober 2020. http://www.klimareporter.de/deutschland/klimaschutz-vom-ziel-her-gedacht .

5 Ebd.

6 Die Linke. „Zeit zu handeln. Für soziale Gerechtigkeit, Frieden und Klimagerechtigkeit! Wahlprogramm der Partei DIE LINKE zur Bundestagswahl 2021. Vorgelegt von Katja Kipping und Bernd Riexinger, Entwurf“, 8. Februar 2021. https://www.die-linke.de/fileadmin/download/wahlen2021/BTWP21_Entwurf_Vorsitzende.pdf .

7 So antwortete Carla Reemtsma zum Beispiel im Interview auf die Frage von Richard David Precht im ZDF:

Richard David Precht: Mir würde noch was anderes einfallen. Wenn man sich mal überlegt, was das Militär an Energie verbraucht und was die an CO2 blasen. Was ein Kampfflugzeug im Vergleich zu einem Passagierflugzeug an CO2 in die Luft bläst, also unvorstellbar. Und was machen wir im Augenblick? Wir rüsten auf, wir wollen 2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts in Zukunft für Waffen ausgeben. Ist das noch zeitgemäß? Wie empfinden Sie das?

Carla Reemtsma: Für mich ist es nicht zeitgemäß. Ich glaube auch nicht, dass sie unter vielen Klimaaktivisten überzeugte Aufrüstungsbefürworter finden (lacht). Deswegen ist das für uns jetzt nicht so das Thema.

Precht, Richard David, und Carla Reemtsma. Revolution für das Klima – Eine Generation steht auf. Richard David Precht im Gespräch mit Carla Reemtsma. ZDF, 2019. https://www.zdf.de/uri/c7bd8e5a-9ace-4a68-b681-b8fb699a7269 .

Als Luisa Neubauer am 28. Juli 2020 in Augsburg auf dem Klimacamp war, sprach ich sie bei einer Pressekonferenz auf das Thema Rüstungskonversion an. Auch sie und vor allem ihr „engster Berater“, der sie offensichtlich kontrollierte, lehnten das Thema Rüstungskonversion ab, das sei nicht ihr Thema.

8 Bundestagswahl 2021. „Alle Wahl­programme für die Bundestags­wahl 2021“, 14. Dezember 2020. https://www.bundestagswahl-2021.de/wahlprogramme/ .

9 Der vorliegende Entwurf wurde von den beiden Vorsitzenden Katja Kipping und Bernd Riexinger am 8. Februar vorgelegt. Die Schwerpunktdiskussion zum Thema Klima retten ist leider schon vorbei und fand am 20. März statt in einem Klima-Ratschlag. Hier hätte Fridays for Future eigentlich teilnehmen sollen und teilnehmen können. Ich weiß nicht, ob das genutzt wurde.
Die Diskussionen in den letzten Wochen werden nun in den Entwurf des Wahlprogramms eingearbeitet, der bis zum 22. April als Leitantrag für den Bundesparteitag veröffentlicht wird. Verabschiedet wird das Wahlprogramm zur Bundestagswahl 2021 vom Bundesparteitag am 19. und 20. Juni. Vielleicht kann man sich immer noch in die Debatte einschalten und über die E-Mail-Adresse wahlprogrammdebatte@die-linke.de an den Bereich Strategie und Grundsatzfragen der Linken wenden, wo der Programmentwurf erarbeitet wird.


   
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