Stadtspaziergang zur Augsburger Räterepublik

Ein glorreiches Stück Augsburger Geschichte

Die Rote Jugend Schwaben (RJS) erinnert an vier Stationen

Artur Hoch

20.04.2021

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Rund 20 Interessierte nahmen am 10. April 2021 an diesem Spaziergang teil, bei dem die Rote Jugend Schwaben in vier Beiträgen an ein anderes Augsburg erinnerte und dessen damalige ProtagonistInnen und Opfer ehrte. Im Folgenden die Redebeiträge, die an den jeweiligen Stationen gehalten wurden.

Hallo Augsburgerinnen und Augsburger, Danke, dass ihr heute gekommen seid, um mit uns gemeinsam auf eine n Abschnitt der Geschichte unserer w underschönen Stadt zu blicken, über d en die meisten von uns leider viel zu wenig wissen. Wir wollen euch heute zeigen, das s ein anderes, ein rotes Augsburg möglich war und ist!

Am 3. April 1919 lud der Augsburger Arbeiter- und Soldatenrat zu einer großen öffentlichen Volksversammlung ein, auf der über das weitere Vorgehen der Novemberrevolution diskutiert werden sollte. Es kam seit längerem die Forderung nach einer „zweiten Revolution“ auf, die eine Rätedemokratie durchsetzen sollte. Der Delegierte aus München hielt den Zeitpunkt für zu früh, doch der revolutionäre Flügel der Augsburger Arbeiter*innen um Georg Prem und weiteren konnte sich durchsetzen. Somit wurde noch am selben Tag eine Resolution verfasst, die an den Münchner Zentralrat die Forderung nach einer Ausrufung der Bayerischen Räterepublik stellte.

Am Montag, den 7. April 1919, also vor 102 Jahren wurde hier in Augsburg unter der Führung des Augsburger Arbeiter- und Soldatenrat s die Bay e rische Räterepublik ausgerufen. Am Mittag dieses Tages zogen Arbeiter mit großen Fahnen und Tafeln aus den Fabriken hierher zum Rathaus und Vertreter der Bewegung sprachen vor einer großen Menschenmenge, die mit großer Zustimmung reagierte. Am selben Tag wurde ein 12-Punkte-Forderungskatalog vorgelegt, der z.B. die Vergesellschaftung der Betriebe und die Bildung einer Roten Armee forderte. Außerdem übernahm der Arbeiter- und Soldatenrat die gesamten Machtbefugnisse der Stadt. Die offizielle B ay e rische Regierung zog sich in das sichere Bamberg zurück, während auch in anderen bay e rischen Orten die Räterepublik ausgerufen wurde. Von der Reichsregierung, die übrigens von der MSPD ( 1 ) gestellt wurde, wurden Truppen und Freikorps gestellt, um militärisch gegen die Räterepublik vorzugehen. In dieser schwierigen Situation entschloss sich der Arbeiter- und Soldatenrat, in Verhandlung mit der Bamberger Regierung zu gehen. Resultat dieser Verhandlung war, dass der Arbeiter- und Soldatenrat schweren Herzens den Anschluss an die Räterepublik rückgängig machte, da sie die AugsburgerInnen vor einem militärischen Schaden verschonen wollten. Wer denkt, dass die Revolution damit in Augsburg vorbei war, der liegt allerdings falsch. Mehr erfahrt ihr bei den nächsten Haltepunkten.



Wir stehen hier vor der Bertolt-Brecht-Bühne. Heute geht es allerdings nicht um ihn, sondern um Lilly Prem, der er eines seiner Werke, die „Ballade von der Höllen-Lili“, widmete. Lilly Prem wurde am 02.11.1897 in Augsburg geboren. Nachweislich, durch ein von Brecht geschriebenes Gedicht in Lillys Poesiealbum, kannten sie sich wohl schon vor dem Aufruf der Räterepublik.

Gemeinsam mit ihrem Ehemann Georg Prem schloss sie sich kurz nach dem Weltkrieg den Spartakisten an und kurz darauf dem Arbeiter- und Soldatenrat Augsburgs, in dem beide eine sehr große Rolle spielten.

Dass es sich bei Lilly Prem um eine mutige, ehrgeizige Frau mit vollem Tatendrang handelte, bewies sie damals nicht nur, weil sie als einzige Frau im damaligen Deutschen Reich die Gesellenprüfung im Bürstenmacher-Handwerk ablegte, sondern auch durch ihren gewagten Aufruf in der „Schwäbischen Volkszeitung“ vom 9.4.1919 an die Augsburger Frauen.

Sie versuchte offensichtlich mit ihrem Aufruf, gezielt Frauen zu animieren, es ihr gleichzutun , denn bekanntlich verfügten Frauen sogar über Sitze im Arbeiterrat und konnten somit auch die Stimmen und Interessen der Frauen vertreten.

Der Appell lautete wie folgt:

Frauen Augsburgs! Bürgerinnen der freien Räterepublik!

Die Würfel sind gefallen. Unser geliebtes Bayernland ist freie Räterepublik geworden und nach langer, dunkler Nacht erscheint die ersehnte Morgenröte einer neuen Zeit. Genossinnen, Schwestern! Reichen wir uns die Hände zu einem freudigen Zusammenarbeiten, verwandeln wir den alten Parteihader zu einem bewussten Klassenkampf. Noch glaubt die Bourgeoisie ihr Spiel nicht verloren, noch arbeitet die Reaktion im Verborgenen. Nörglern und Zweiflern gebt kein Gehör, glaubt nicht jenen, die da gegen die Räterepublik hetzen, es sind bezahlte Elemente des Kapitalismus.

Frauen des Proletariats! Wollen wir wieder unter die Geißel des Kapitalismus kommen, sollen unsere Kinder Sklaven desselben werden? Niemals! Deshalb habt Vertrauen zu den jetzigen Führern, die unser Bestes wollen, die bereit sind, ihr Leben für unser Wohl einzusetzen.

Schon haben wir Frauen im Arbeiterrat mit Sitz und Stimme, die unsere Interessen vertreten können. Gebt Anregungen für das Volkswohl und arbeitet fleißig mit an dem wirtschaftlichen Aufbau unserer Heimat.

Arzt und Apotheke sowie Bäder werden für Minderbemittelte frei sein. Bald wird mehr folgen! Habt Geduld und harrt noch eine kleine Weile aus, wie ihr viereinhalb Jahre ausgeharrt habt.

Bedenkt, das Glück unserer Kinder steht auf dem Spiele! Wir wollen freie Menschen sein und bleiben. Also schließt die Reihen und lasst uns geschlossen an der Seite unserer Männer für die heilige Sache kämpfen. Seid einig und treu!

Im Namen der revolutionären Frauen Augsburgs: Lilly Prem

Lilly Prem floh nach der Niederschlagung des Aufstands in die Schweiz, wohin ihr auch ihr Ehemann Georg Prem folgte, nachdem er wegen Hochverrats eine zweijährige Haftstraße abgesessen hatte.

Letztendlich zog sie nach Italien, wo sie in Rom ihr Abitur nachholte und daraufhin ein Sinologiestudium antrat, welches sie 1936 mit Promotion abschloss. 1965 starb Lilly Prem und wurde in Augsburg beigesetzt.

Unser nächster Halt ist hier das Plärrergelände. Wir können uns gut vorstellen, dass hier bereits zu Zeiten der Augsburger Räterepublik größere Versammlungen stattfanden. An dieser Stelle wollen wir näher darauf eingehen, welche großen Demonstrationen, Versammlungen und Streiks wichtig für die Räterepublik waren.

Bereits vor der großen öffentlichen Volksvollversammlung am 3. April planten die Revolutionäre um Lilly Prem, Hans Frank und Wilhelm Olschewski die Durchführung eines 10-tägigen Generalstreiks, der dann sofort am 4. April begonnen wurde. Die Arbeiter*Innen strömten zu Hauf aus den Fabriken auf die Straße und unterstrichen die Resolution zur Ausrufung der Räterepublik. Am selben Tag beschloss der Arbeiter- und Soldatenrat die Bewaffnung der Arbeiterschaft. Hierfür wurden einige Offizierswohnungen nach Waffen durchsucht, die in die Hände der Arbeiter*Innen übergingen.

Als es am 7. April dann aus München hieß „Die Entscheidung ist gefallen! Bayern ist Räterepublik!“, zogen die Arbeiter*Innen mit Fahnen und Transparenten, auf denen die Errungenschaft hochgehalten wurde, in die Innenstadt, wo gewaltige Menschenmengen den Revolutionären im Rathaus zujubelten.

Nachdem die sozialdemokratische Regierung Augsburg unter eine Wirtschaftsblockade stellte, kam es erneut zu einer Massenversammlung. Dort wurde beschlossen, dass man sich aus strategischen Gründen den Verhältnissen beugen müsse und mit der Regierung in Verhandlungen über die Aufhebung der Wirtschaftsblockade gehen müsse. Auch wenn dies ein vorbildlich gefasster demokratischer Beschluss war, werden wir später noch sehen, wie naiv er gegenüber den Sozialdemokraten war, die nie die Absicht hatten, sich um das Wohlergehen der Augsburger Arbeiter*Innen zu scheren.

Als ehemaliger Exerzierplatz eignet sich der Plärrer auch, um einen Blick in die militärischen Verhältnisse der Räterepublik zu werfen. Die Arbeiterschaft organisierte nach ihrer Selbstbewaffnung einen Schutztrupp der Arbeiter- und Soldatenräte, in dem sowohl Frauen als auch Männer kämpften. Außerdem planten sie den Aufbau einer Roten Armee. Die Regierung hingegen sammelte die reaktionären Militärs und rechten Freikorps um sich, die sie zur Bekämpfung der Revolutionäre und später nach dem Fall der Räterepublik auch zur Niederhaltung der Arbeiter*Innen einsetzte.

Was lernen wir aus diesen Ereignissen? Wir Revolutionäre müssen unsere Klasse stets in Massen um uns sammeln und mit revolutionärer Tat voranschreiten. Die Planung und Durchführung eines Massenstreiks war essentiell für die Verankerung der Räterepublik in der Bevölkerung und um politischen Druck auch im eigenen Lager auszuüben. Die allgemeine Volksbewaffnung war nötig, um Widerstand gegen die bürgerlichen Feinde der Revolution zu leisten, auch wenn er letztendlich nicht erfolgreich war. Die Selbstorganisierung der Arbeiter*Innen und Soldaten war notwendig, um gemeinsame demokratische Forderungen und Beschlüsse zu fassen. Wir überlassen unser Schicksal keinen bürgerlichen Politikern. Wie Bert Brecht schon sagte: „Und weil der Prolet ein Prolet ist, drum wird ihn kein anderer befrei'n. Es kann die Befreiung der Arbeiter nur das Werk der Arbeiter sein!“ Rotfront Genossen

Wir sind nun am Ende unseres Spaziergangs angelangt und somit auch am Ende der Räterepublik in Augsburg. Der Arbeiter- und Soldatenrat verabschiedete einen 12-Punkte-Plan, um die Ideale und Ziele der Revolution Wirklichkeit werden zu lassen. Er beinhaltete unter anderem eine Vergesellschaftung der Betriebe, die Einrichtung eines Revolutionstribunals, Sozialisierung der Betriebe und den Aufbau einer Roten Armee. Als Reaktion auf die Vorgänge in Augsburg setzte die Bayerische Regierung Freikorps in Marsch, um Augsburg militärisch zu besetzen und blockierte Nahrungslieferungen sowie Rohstofflieferungen nach Augsburg – für eine Industriestadt wie Augsburg fatal. In dieser prekären Situation entschied sich der Arbeiter- und Soldatenrat, den Anschluss Augsburgs an die Räterepublik rückgängig zu machen, um die Bevölkerung und die Stadt zu schützen.

Trotz der Zugeständnisse der Bayerischen Regierung, Augsburg militärisch nicht zu besetzten, geschah genau das einige Tage später. Die Revolutionäre wollten dies verhindern und verteidigten hier auf dieser Brücke ihre Stadt und die Errungenschaften der Räterepublik gegen die Reaktionäre. Nach einem Tag voller heftiger Kämpfe gegen die Gruppe Hierl, die mit 4.200 Mann und schwerem Geschütz aufmarschierte, mussten sich die Revolutionäre der Übermacht geschlagen geben. Erwähnenswert ist hierbei noch der Abschuss eines Flugzeugs der Freikorps durch die Revolutionäre. 34 Männer, Frauen und Kinder ließen ihr Leben im Kampf für eine befreite Gesellschaft, sie sind Teil unserer Geschichte und Vorbilder im Kampf für eine klassenlose Gesellschaft.

Die Bedeutung dieser Geschehnisse wird deutlich in der Betrachtung der Reaktionen nach der Auflösung der Räterepublik. Die Sozialdemokraten griffen sie vehement an und auch später die Nationalsozialisten. Sie hissten gar am Rathaus am 9. März 1933 die Hakenkreuzfahne, um die Schmach zu tilgen, dass der Anstoß für die Münchner Räterepublik hier in Augsburg liegt. Die Gefallenen dieses Tages sollen in unserem Kampf weiterleben.

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1 eine informelle Bezeichnung für die Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD) zwischen Mitte 1917 und 1922


   
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