Doppelinterview mit Frauke Petry und Sahra Wagenknecht in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung am 2.10.2016

Ein Lehrstück über rechte Unterstellungen und Verdrehungen

Schon wieder Sahra Wagenknecht! Diesmal gemeinsam mit Frauke Petry, der Frontfrau der AfD, im Gespräch. Von den Linken schütteln die einen resigniert den Kopf, die anderen sind wütend über ihre Fraktionschefin. Hat sie denn nicht schon genug argumentative Zugeständnisse an die Rechtspopulisten gemacht und damit ihrer Partei geschadet? Aber Resignation und Wut sind schlechte Ratgeber und beeinträchtigen oft die sachliche Analyse. Wer das Doppelinterview nüchtern analysiert, kann viel über die Hilflosigkeit der linken Fraktionschefin gegenüber der populistischen Rhetorik erfahren.

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Konsens oder Streitgespräch?

Sahra Wagenknecht, Bielefeld 18.9.2013 DIE LINKE Nordrhein-Westfalen, Niels Holger Schmidt CC BY-SA 2.0 Flickr

Was für Sahra Wagenknecht ein Streitgespräch werden sollte, das wurde von vielen Medien als Konsensgespräch dargestellt, bei dem sich angeblich „starke Überschneidungen“[1] ergaben. Bei allen Differenzen sollen die beiden Frauen „überraschend viele Gemeinsamkeiten“[2] entdeckt haben.

Was also: Konsens- oder Streitgespräch? Um das zu beurteilen, muss man berücksichtigen, dass auch bei einem Doppelinterview eine dritte Partei eine wichtige Rolle spielt: der Interviewer, der alles andere als nur ein Stichwortgeber und neutraler Schiedsrichter ist. Die Journalisten der FAS haben sich ja auf das Interview vorbereitet und sich ein Bild von den Interview-Partnern gemacht. Und die journalistische Fragetechnik gilt immer dann als gelungen, wenn dadurch die jeweiligen Politiker_innen vorgeführt werden können, weil sie mehr als beabsichtigt von sich preisgeben oder sich unfreiwillig eine Blöße geben. Nicht immer geht es dabei fair zu, wie in der FAS vom 2.10.2016 zu sehen ist.

Simulierter Konsens in der Flüchtlingsfrage

Das Interview[3] beginnt mit einer massiven Provokation für Sahra Wagenknecht, nämlich mit der Behauptung: „Wer sein Gastrecht missbraucht, hat es verwirkt.“ Dieser Satz stammt von Ihnen, Frau Wagenknecht, und ist eine glasklare AfD-Position.

Diesen Satz hat Sahra Wagenknecht im Zusammenhang mit den Ereignissen der Kölner Silvesternacht von sich gegeben. Und dieser Satz stieß auf massive Empörung bei vielen Linken und auf einhellige Ablehnung der Linksfraktion. Denn weder das deutsche Asylrecht noch die Genfer Flüchtlingskonvention ist ein bloßes Gastrecht.

Hier schon macht Sahra Wagenknecht ihren ersten Fehler: Statt die provokante Behauptung von der glasklaren AfD-Position empört zurückzuweisen, verteidigt Sahra Wagenknecht ihre These vom verwirkten Gastrecht auch noch – und das nur halbherzig. Den Satz selbst nimmt sie nicht zurück. Nicht weil der falsch war, benutzt sie ihn nicht mehr, sondern weil er missverstanden wurde.

Sahra Wagenknecht übergeht die Provokationmit Sachargumenten: Wenn so viele Menschen nach Deutschland kommen wie infolge von Merkels Politik im vorigen Herbst, dann muss man auch dafür sorgen, dass Integration gelingt und die notwendigen Wohnungen oder Arbeitsplätze vorhanden sind. Entscheidend ist daher, Menschen in Not dort zu helfen, wo sich die meisten Notleidenden ohnehin befinden: in den Herkunftsländern und in den angrenzenden Regionen.

Diese Floskel von der notwendigen Hilfe in den Herkunftsländern und in den angrenzenden Regionen wird von den Politikern der großen Koalition schon fast wie eine Gebetsmühle immer wieder vorgetragen. Diese Floskel ist in dieser Allgemeinheit zwar nicht falsch, aber sie dient meistens eher der Eindämmung des Flüchtlingsstroms.

Dass ausgerechnet die linke Frontfrau Sahra Wagenknecht diese zum Allgemeinplatz gewordene Floskel verwendet, macht sie wehrlos. Denn Frauke Petry heuchelt Einverständnis.Wider Erwarten widerspricht sie nicht, sondern sie umarmt ihre Gegnerin, um ihr die Luft abzudrücken:

Frauke Petry - erst zustimmen und dann rechts umbiegen Metropolico.org CC BY-SA 2.0 Flickr

Petry: Damit haben Sie gerade AfD-Positionen referiert, Frau Wagenknecht. Niemand bestreitet, dass wir eine humanitäre Verpflichtung haben, zu helfen. Wenn aber die Rechtsbeugung von Regierungsseite oder die Ausnutzung des Asylrechts durch Armutsmigranten dazu führt, dass wir in Deutschland letztlich einen Konkurrenzkampf unter den sozial Schwachen haben, dann ist das Asylrecht ad absurdum geführt. Das kann weder im Interesse einer linken Partei sein noch in dem einer Rechtsstaatspartei wie der AfD. Deshalb gibt es so starke Überschneidungen zwischen uns.

Was für eine dreiste Behauptung! Sahra Wagenknecht ist keineswegs der Auffassung Petrys. Sie spricht hier von Integration derNotleidenden in Deutschland und Hilfe für die Notleidenden in den Herkunftsländern und den angrenzenden Regionen.

Und was macht Frauke Petry daraus? Sie leugnet die Fluchtgründe und behauptet, dass „Armutsmigranten“ mit illegaler Unterstützung der Regierung („Rechtsbeugung“) das Asylrecht ausnützen und „ad absurdum“ führen. Frauke Petry will das Gegenteil von Integration der Geflohenen. Sie will vielmehr die „sozial Schwachen“ unter den Deutschen vor den angeblichen „Armutsmigranten“ schützen.

Und noch einmal wiederholt sie zur Abrundung die dreiste Behauptung vom Anfang: Zwischen einer linken Partei und einer „Rechtsstaatspartei wie der AfD“ (!) gebe es „so starke Überschneidungen.“

Sahra Wagenknecht macht in der Antwort darauf aber nicht den demagogischen Redestil der AfD-Frau zum Thema. Statt Frauke Petry der Verdrehung und des gewollten Missverständnisses zu bezichtigen, bringt sie nur Sachargumente vor:

Es gibt keine Überschneidungen, Frau Petry. Sie hätten im Gegensatz zu mir jeder Verschärfung des Asylrechts zugestimmt (…) Dass Sie den Menschen in ihren Herkunftsländern helfen wollen, habe ich bislang auch nicht als AfD-Position wahrgenommen. Ebenso wenig, dass Sie die Bedingungen in den Flüchtlingslagern verbessern wollen. Stattdessen lese ich, dass Ihr Parteifreund Alexander Gauland die „menschliche Überflutung“ bei uns eindämmen will. Solche Worte finde ich menschenverachtend.

Sachargumente wirken aber nur bei denen, die auch eine sachliche Auseinandersetzung wollen. Das will aber Frauke Petry offensichtlich nicht. Ihr geht es um die Fortsetzung der Provokation, mit der ja schon das Interview begonnen hat. Frauke Petry folgt der im Interview vorgegebenen Linie: Der linken Fraktionschefin soll ihre Identität als Linke abgesprochen werden. Mit gezieltem Missverständnis und Verdrehungen wird Sahra Wagenknecht wieder einmal in die Nähe der AfD gerückt und ihr Ruf als Linke geschädigt.

Petry nur „einen Tick nationalistischer und völkischer“ als Wagenknecht?

Damit die politischen Unterschiede zwischen Rechts und Links nicht allzu deutlich werden, wirft die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung wieder eine Nebelkerze. Besonders deutlich wird das bei der unterschiedlichen Haltung zur Europäischen Union und zum Nationalstaat. So lautet die Frage an Sahra Wagenknecht:

Aber Sie wollen nicht zu den Vereinigten Staaten von Europa voran, sondern zurück zum Nationalstaat. Warum?

In ihrer Antwort rückt Sahra Wagenknecht den Nationalismus-Vorwurf zurecht:

Ich will mehr Demokratie. Die Demokratie funktioniert aber nur unter bestimmten Bedingungen. Es muss eine gemeinsame Öffentlichkeit geben und Parteien mit einer bestimmten Ausrichtung. All das fehlt auf EU-Ebene. Es ist kein Zufall, dass sich an der Wahl des EU-Parlaments kaum ein Drittel der Bürger beteiligt. Die EU-Kommission steht außerhalb jeder demokratischen Kontrolle. Die Rückverlagerung von Kompetenzen auf die Staaten ist eine Frage der Demokratie - nicht Ausdruck eines muffigen Nationalismus, der ein biologistisch definiertes Volk gegen andere Kulturen abschotten will.

Und wie wehrt Frauke Petry die Kritik an den undemokratischen Strukturen der EU und vor allem an dem biologistisch definierten Volksbegriff ab? Indem sie wieder zunächst verbal zustimmt! Auf die Kritik am biologistisch definierten Volksbegriff geht sie nicht direkt ein. Sie weicht aus und zeichnet eine politische Idylle der Nationalstaaten als „kleine Verbünde“, die angeblich besser zur „Lebenswelt“ der Bürger passen. Die EU dagegen zerstöre mit der Politik der „Harmonisierung“ die „Vielfalt Europas“. Der Begriff Harmonisierung und der Vorwurf der Zerstörung schließen sich aber gegenseitig aus. Frauke Petry meint wohl eher die von Nationalisten gefürchtete Homogenisierung und Zerstörung der völkischen Vielfalt.

Frauke Petry zu Sahra Wagenknecht: „Diese Kritik an der EU und das Bekenntnis zum Nationalstaat teilen wir. Demokratie und Transparenz funktionieren in kleinen Verbünden besser als in großen, weil nur dann der Bürger weiß, warum welche Entscheidung getroffen wird, weil es in seiner Lebenswelt passiert. Außerdem hat die EU die Prinzipien von Freiheit und Wettbewerb und Solidarität für die Harmonisierung eingetauscht und zerstört damit die Vielfalt Europas.

Und wie reagiert die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung auf die Strategie Frauke Petrys, dass sie mit der Linken Wagenknecht das „Bekenntnis zum Nationalstaat“ teile? Statt aufzuklären vernebelt diese Wochenzeitung die Aussagen, indem sie den Gegensatz zwischen rechter und linker Politik auf einen nur graduellen Unterschied reduziert und damit leugnet:

Bei Ihnen, Frau Petry, hört sich das Lob des Nationalstaats immer einen Tick nationalistischer und völkischer an als bei Frau Wagenknecht.

Wieder kritisiert Sahra Wagenknecht nicht die üble Unterstellung in der Frage. Sie macht das taktische Zusammenspiel der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung mit Petry nicht zum Thema. Die Argumente Sahra Wagenknechts mögen noch so differenziert sein, ihr wird dennoch das Odium „AfD light“ angehängt – nicht wegen ihrer Argumente, sondern weil sie die Taktik ihrer Interviewpartner bzw. -gegner nicht durchkreuzt.

Nach dem Motto „etwas bleibt immer hängen“ werden ständig Gemeinsamkeiten und Überschneidungen behauptet, die Sahra Wagenknecht immer wieder mit triftigen Argumenten zurückweist. Aber Argumente helfen nicht gegen die Unterstellungen. Am Schluss kommt daher keineswegs überraschend noch einmal eine gehässige Frage zur Bundestagswahl 2017:

Und nach der Wahl könnten Sie beide problemlos miteinander koalieren?

Sahra Wagenknecht bleibt auch hier noch sachlich und wiederholt nur ihre Positionen.

„Qualitätsjournalisten“ und linke Gegner Wagenknechts reagieren

Die bürgerlichen Zeitungen haben das Bild, das die FAS mit Petrys Beihilfe entworfen hat, mit Begeisterung aufgegriffen. Wo man hinschaut, überall das gleiche Abziehbildchen. Immer und immer wieder wird der Konsens zwischen Wagenknecht und Petry behauptet, als ob die „Qualitätsjournalisten“ nur voneinander abgeschrieben und nicht das Doppelinterview gelesen hätten.

Die TAZ[4] nennt das Interview mit Wagenknecht und Petry Ein rechtes Konsensgespräch – Sahra Wagenknecht und Frauke Petry haben der „FAS“ gemeinsam ein Interview gegeben. Bei vielen Themen klingen die Positionen sehr ähnlich.

Auch die Süddeutsche Zeitung[5] bläst in das gleiche Horn: Die Fraktionsvorsitzende der Linken im Bundestag, Sahra Wagenknecht, und die AfD-Chefin Frauke Petry haben in einem Doppelinterview mit der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung Unterschiede, mehr noch aber Gemeinsamkeiten entdeckt.

Die „Zeit“[6], die Wochenzeitung für die wohlhabenden und gebildeten Stände, bemüht in der Schlagzeile den Lyriker Ernst Jandl[7]: Lechts und Rinks kann man verwechseln – Frauke Petry und Sahra Wagenknecht geben zusammen ein Interview und entdecken überraschend viele Gemeinsamkeiten. Die AfD-Chefin bietet der Linken sogar Kooperation an. Auf diese Journalisten-Poesie kann man nur noch mit Ernst Jandl antworten: „Werch ein Illtum!

Aber auch in der Partei Die Linke greifen die Gegner Wagenknechts gerne auf die Unterstellungen der „Qualitätsjournalisten“ zurück. So berichtet der Mitteldeutsche Rundfunk[8], auf welchem Niveau regierungsnahe und gewerkschaftliche Linke den innerparteilichen Zwist austragen:

Ein gemeinsames Zeitungsinterview von AfD-Bundeschefin Frauke Petry und der Linken-Bundestagsfraktionsvorsitzenden Sahra Wagenknecht hat in Thüringen für Empörung gesorgt. Staatskanzleichef Benjamin Hoff (Die Linke) nannte das Verhalten von Wagenknecht bei MDR THÜRINGEN eine politische Instinktlosigkeit, die der AfD in die Hände spielen würde. Der linke Gewerkschafter Sandro Witt sagte in einer persönlichen Stellungnahme, es sei der falsche Weg, zur AfD abgewanderte Wähler mit AfD-Argumenten zu den Linken zurückholen zu wollen.

Der Vorwurf der politischen Instinktlosigkeit ist berechtigt. Aber AfD-Argumente hat Sahra Wagenknecht in diesem Doppelinterview nicht vorgebracht. Benjamin Hoff und Sandro Witt wollen nicht sehen, dass der Angriff der „Qualitätsmedien“ weniger der Person Wagenknechts als vielmehr der ganzen Partei gilt.

Auch Christian Füller will im „Freitag“[9] die Fraktionschefin der Linken als Rechte dekonstruieren:

Die Auftritte Wagenknechts lösen regelmäßig Widerwillen in der Fraktion aus. Damit sind nicht nur ihre stark rechtsdrehenden Äußerungen über das Gastrecht von Asylbewerbern gemeint. Ihr Gespräch mit der AfD-Vorsitzenden Frauke Petry in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung wird irgendwo zwischen Wut und Resignation kommentiert. Das Signal eines solchen Gesprächs mit Frauke Petry wird als verheerend empfunden – da mochte Wagenknecht noch so sehr fauchen, „es gibt keine Überschneidungen, Frau Petry“. Für die Anhänger einer erneuerten Linken zählt das riesige Bild der beiden Spitzenfrauen von Linkspartei und AfD, garniert mit der charmanten Zeile: „Wir sollten öfter miteinander reden.“

Eine sachliche Auseinandersetzung mit den Positionen der linken Fraktionschefin wäre für Die Linke dringend notwendig. Ihre Positionen sind oft genug fragwürdig, aber auch diskussionswürdig. Eine Klärung wird aber behindert, wenn man die Hetze der bürgerlichen Medien für innerparteiliche Rivalitäten instrumentalisieren will.

Wolfgang Walter, 26.10.2016

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