Tarifvertrag öffentlicher Dienst – Kita-Streik in Augsburg

ErzieherInnen in der Offensive

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Seit dem 11. Mai sind die Erzieher und Erzieherinnen in ganz Deutschland im unbefristeten Streik. Mit den kommunalen Arbeitgebern verhandelt die Tarifgemeinschaft aus Verdi, GEW und DBB. Es geht bei diesem Arbeitskampf um weit mehr als nur die üblichen paar Prozente. Es geht um wichtige berufspolitische, gewerkschaftliche und zugleich gesellschaftspolitische Ziele.

Einerseits soll der Sozial- und Erziehungsdienst deutlich aufgewertet werden. Verdi verlangt unter der Parole „AUFWERTEN JETZT“ eine höhere Eingruppierung der Beschäftigten, so dass sich ihr Gehalt um etwa zehn Prozent verbessert. Bei der Einstufung sollen in Zukunft auch frühere Beschäftigungszeiten anerkannt werden.

Das Aufgabenprofil der pädagogischen Fachkräfte in den Kitas wurde in den letzten Jahren erheblich ausgeweitet. Eltern und Politiker fordern zusätzlich zur Betreuung seit der PISA-Debatte zunehmend von den ErzieherInnen einen Bildungsauftrag ein. Aber nicht nur die Bildungsaufgaben haben zugenommen, sondern auch die Intensität der Betreuung. Vor allem im Westen Deutschlands müssen seit der Kita-Garantie immer mehr jüngere Kinder aufgenommen werden. Und anders als früher sind die Kinder auch länger in den Kitas.

In Deutschland herrschen immer noch patriarchalische Strukturen, wonach Männer den größeren Teil des Familieneinkommens bestreiten und Frauen überwiegend für die Familie, für Sorge- und Erziehungsarbeiten zuständig sind. So ist auch der Erzieherberuf ein klassischer Frauenberuf: schlecht bezahlt und der eigenen Familie zuliebe oft nur in Teilzeitbeschäftigung.

Eine deutlich höhere Eingruppierung kann ein Anfang sein, kann die Lohnlücke zwischen Frauen und Männern („gender pay gap“) verringern. Sigrid Giampa, Geschäftsführerin im Verdi-Bezirk Augsburg, brachte es auf den Punkt: „Gerade Frauenberufe brauchen mehr gesellschaftliche und finanzielle Anerkennung und Wertschätzung.“

Die ErzieherInnen streiken. Auch in Augsburg. Aber keineswegs alle, denn von den 9430 Kita-Plätzen in Augsburg sind nur 3000 kommunal und die anderen zwei Drittel der Plätze gehören entweder freien Trägern (1670 Plätze) oder gemeinnützigen Trägern wie der katholischen Caritas (3060 Plätze) oder der evangelischen Diakonie (1300 Plätze im Stadtgebiet) oder der Arbeiterwohlfahrt (400 Plätze).

Die Beschäftigten der kirchlichen Träger haben kein Streikrecht. Sie dürfen ihre kommunalen KollegInnen im Streik nicht unterstützen, aber der Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD) wird in der Regel nach dem Streik auf sie übertragen. So will es der sogenannte Dritte Weg, der für die kirchlichen Träger gilt.

Das Bildungsreferat der Stadt verwaltet die Kitas. Es zeigte gegenüber der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi keinerlei Entgegenkommen. Andere Städte vereinbarten mit Verdi eine Härtefallregelung, dass pädagogisch ausgebildetes Personal zwischen 7.30 Uhr und 17 Uhr den Eltern aushilft, die zwingend auf einen Betreuungsplatz angewiesen sind.

Menschenkette am 12. Mai vom Dom bis zum Rathaus

Nicht so Augsburg. Die Stadt suchte den Konflikt. Sie akzeptierte die angebotene Härtefallregelung und die Forderung der Gewerkschaft nicht, dass 60 Prozent ihrer Einrichtungen geschlossen werden sollen. Mit Hauswirtschafts- und Verwaltungskräften organisierte die Stadt in den ersten Streiktagen eine Notbetreuung bis 14 Uhr für etwa ein Drittel der Kinder.

Viele Erzieherinnen empfanden diese Notbetreuung mit pädagogisch unqualifizierten Hilfskräften als Schlag gegen ihr Berufsethos. Aber auch für viele berufstätige Eltern war die zu knapp bemessene Betreuungszeit nicht hilfreich.

Während das Bildungsreferat der Stadt einen Konfliktkurs steuerte, bekundete die Politprominenz der Stadt ihre Sympathie mit den ErzieherInnen. So reihte sich der Umweltreferent Rainer Erben (B90/Die Grünen) mit seinen Getreuen am 12. Mai in die Menschenkette von rund 600 Demonstrierenden vom Dom bis zum Rathaus ein. Die Bundestagsabgeordnete und frühere GEW-Vorsitzende Ulrike Bahr (SPD) verteilte mit ihrem Parteifreund und Landtagsabgeordneten Linus Förster Blumen an die DemonstrantInnen. Und einige Tage zuvor durfte am 1.Mai die Finanz- und Wirtschaftsreferentin Eva Weber (CSU) auf der Kundgebung ganz allgemein und unverbindlich ihre „Solidarität“ mit den Gewerkschaften verkünden.

Kundgebung am 19. Mai 2015: Kämpferisch und unbequem

Finanzreferenten müssen aber, unabhängig von ihrer politischen Richtung, Gegner einer höheren Eingruppierung der ErzieherInnen sein, da die Kommunen im föderativen System der Bundesrepublik generell unter Finanznot leiden und Augsburg sich überdies mit teuren Prestigeprojekten verausgabt hat.

Für die meisten Kommunen dürfte die höhere Eingruppierung der Sozial- und Erziehungsdienste nur dann bezahlbar sein, wenn auch die Aufteilung der Finanzen zwischen Ländern und Kommunen geändert wird. Nicht zuletzt wegen dieser politischen Dimension wird es noch ein langwieriger Kampf sein, bis die Tarifgemeinschaft aus Verdi, GEW und DBB gegen die kommunalen Arbeitgeber ihre Forderungen durchsetzen kann.

In der zweiten Streikwoche dehnte Verdi den Kampf auf die Landkreise Augsburg, Aichach-Friedberg, Landsberg und Günzburg aus. An der Kundgebung am 19. Mai vor dem Augsburger Rathaus beteiligten sich neben den Kolleginnen und Kollegen des Sozial- und Erziehungsdienstes auch Beschäftigte des Einzelhandels und der Post. Die Stimmung unter den rund 500 DemonstrantInnen war schon deutlich aggressiver als bei der noch fröhlichen Menschenkette eine Woche vorher.

Wolfgang Walter 22,5.2015

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