Der Streik bei Amazon geht alle an

Ver.di kämpft in Graben: „Weihnachten steht vor der Tür. Wir auch!“

Kurz vor Weihnachten, am 15. Dezember, legten Beschäftigte im Logistik-Zentrum Graben die Arbeit nieder. In den Ausstand getreten sind zugleich die „Amazonier“ in Hessen, Sachsen und Nordrhein-Westfalen. Am Dienstag kam Koblenz in Rheinland-Pfalz dazu. Damit wurde erstmals in sechs der neun deutschen Amazon-Lager gleichzeitig gestreikt. Nach Angaben der Dienstleistungsgewerkschaft verdi beteiligten sich etwa 2300 Beschäftigte an der Arbeitsniederlegung.

Der Warnstreik sollte ursprünglich bis Mittwochabend andauern. Aber in den Logistikzentren in Bad Hersfeld (Hessen), Rheinberg und Werne (beide NRW) und Leipzig soll der Kampf um zwei Tage bis Samstag verlängert werden. Und in Graben bei Augsburg soll der Ausstand weiter gehen bis zum „Heiligen Abend“.

Die Konflikte in Graben

Gut 100 Amazon-Beschäftigte aus Graben fuhren nach dem ersten Streiktag am 16.12. mit Bussen zur Kundgebung nach Augsburg. Der Streikleiter Thomas Gürlebeck erinnerte daran, dass genau vor einem Jahr ver.di in Graben zum ersten Streik aufgerufen hat. Das Engagement der Beschäftigten hat seitdem mit den Streikaktionen stetig zugenommen.

Schon vor Beginn des Weihnachtsgeschäfts hat am 27. Oktober ver.di in Graben zum Streik aufgerufen. Der Anlass waren Abmahnungen, die Thomas Gürlebeck ungerechtfertigt nannte, weil Krankmeldungen nachlässig bearbeitet worden seien. Die Süddeutsche Zeitung zitiert Thomas Gürlebeck: "Über 25 Prozent des Personals sind hier langzeitkrank ... und der Arbeitgeber tut nix gegen den Leistungsdruck und die Belastung am Arbeitsplatz." [1]

Die Geschäftsleitung der Logistik-Zentrale in Graben zeigte sich unbeeindruckt und wies wie üblich die Kritik am Krankenstand als maßlos übertrieben zurück. Sie wollte jedoch keine Zahlen zu den Krankmeldungen in Graben nennen.

Am Mittwoch darauf verlagerten die Streikenden ihren Protest von Graben nach München. Sie demonstrieren erstmals vor der Amazon-Zentrale in München-Freimann und erreichten mit ihrer Drohung eine weitere Eskalationsstufe: "Wenn die Geschäftsführung das Weihnachtsgeschäft retten will, wird es Zeit, dass sie den berechtigten Forderungen der Beschäftigten nach existenzsichernden Tarifverträgen endlich nachkommen."

Die Arbeitsbedingungen bei Amazon sind schon von verschiedener Seite als katastrophal beschrieben worden. So zeichnet publik.verdi.de das Bild einer lückenlosen Kontrolle: „Die Überwachung der Kollegen und ihrer Arbeitsleistung findet gleich von mehreren Seiten statt: durch den Handscanner, der alle Vorgänge registriert, durch Überwachungskameras an vielen Ecken, natürlich durch Vorgesetzte und manchmal auch durch Kollegen.“[2]

Die Beschäftigten lassen sich dieses Kontrollsystem gefallen, weil der Logistik-Konzern mit der Befristung von Arbeitsverträgen ein starkes Druckmittel hat. Wer nicht genug Leistung bringt, bekommt keine Verlängerung seines Vertrags. Besonders viele trifft es am Ende des Weihnachtsquartals.

Publik.verdi.de beruft sich auf das neueste Buch des Enthüllungsjournalisten Günter Wallraff. Im Amazon-Jargon wird demnach der Rauswurf der Befristeten mit einem Viehtransport verglichen und "ramp down" genannt, also „die Rampe hinuntertreiben“.[3] Gegen diesen Zynismus protetstieren die Streikenden, wenn auf ihren Transparenten steht: „Heute kämpfen wir für Respekt.“

David gegen Goliath

Rund 500 Streikwillige von rund 2500 Beschäftigten in Graben sieht Thomas Gürlebeck hinter sich. Der Leiter des Amazon-Standorts in Graben will zwar nur 150 Streikende gezählt haben, aber er muss die Wirkung des Streiks herunterspielen, damit das Weihnachtsgeschäft nicht weiter geschädigt wird.

Ver.di-Sekretär Hubert Thiermeyer, Leiter für den Handel in Bayern, schwört die Streikenden auf einen langen Kampf ein: Amazon hat es in der Hand, wie viele solche Jubiläen es braucht, bis es auch hier existenzsichernde Tarifverträge gibt.“[4] Und in der Tat können die Streikenden dem mächtigen US-Konzern nur in einem zähen Kleinkrieg einen Tarifvertrag aufzwingen. Denn der Konzern wird nicht freiwillig seinen Standortvorteil gegenüber anderen Versandhäusern aufgeben. Diese müssen sich an den Branchentarifvertrag für den Versandhandel halten.

Dank des europaweiten Netzwerks mit insgesamt 28 Logistikzentren, darunter auch in Polen und der Tschechischen Republik, werde trotz Arbeitsniederlegungen in Deutschland pünktlich geliefert, betont Amazon regelmäßig. Vor allem Polen spielt wegen seiner zentralen Lage eine wichtige Rolle."Aus Polen werden Kunden in ganz Europa beliefert", kündigte Tim Collins, Logistikchef von Amazon Europe, bei der Eröffnung an.[5] Während die Lagerarbeiter in Deutschland knapp zehn Euro pro Stunde verdienen, kosten sie Amazon in Polen nur gut drei Euro .

Verdi-Sprecherin Eva Völpel sagte in Berlin: "Wir werden den Druck aufrechterhalten und ausbauen. Die Streiks werden Amazon im Weihnachtsgeschäft treffen – auch wenn das Unternehmen verzweifelt versucht, den Eindruck zu erwecken, dass alles gut läuft." Ebenfalls übte die Gewerkschaft auch Kritik an den zahlreichen befristeten Arbeitsverträgen bei Amazons Standort in Brieselang (Havelland). Gerade einmal 15 Prozent der derzeit dort 1500 Mitarbeiter hätten derzeit einen unbefristeten Arbeitsvertrag. Mindestens 70 Prozent der Belegschaft sollten unbefristet beschäftigt sein, so die Forderung.

Auch die im Vergleich zum Westen deutlich niedrigeren polnischen Löhne dürften eine Rolle für die Standortentscheidung gespielt haben. Durchschnittlich 13 Zloty (gut drei Euro) verdienen die Lagermitarbeiter pro Stunde. In Deutschland sind es etwa zehn Euro.

Gegen den Strom

Nur noch die Hälfte aller Beschäftigten in Deutschland hatte 2012 einen Branchentarifvertrag. Tendenz fallend. Wenn die gewerkschaftliche Hans-Böckler-Stiftung im Februar 2015 ihr statistisches Taschenbuch zur Tarifpolitik veröffentlicht, werden es noch weniger sein, für die wenigstens formal „auf Augenhöhe“ die Gewerkschaften mit den Arbeitgebern Tarife aushandeln können. Im Einzelhandel lag 2012 die Tarifbindung noch niedriger, nämlich bei 40 Prozent der Beschäftigten (Näheres dazu im WSI-Tarifarchiv 2014).

Verdis Kampf gegen Amazon und für einen Tarifvertrag ist nicht nur für die „Amazonier“ von Bedeutung, sondern auch für die Gewerkschaften insgesamt und schließlich auch für die politische Linke.

Wolfgang Walter, 22.12.2014

 

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3] Günter Wallraff (Hg.), Die Lastenträger. Arbeit im freien Fall - flexibel schuften ohne Perspektive, Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2014, ISBN 978-3-462-04625-0, 14,99€


   
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